Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral

 

Gerhard Kofler, SenAttac/Zukunftmitverantworten 11.04.2018

Glawischnig beim Glückspielkonzern Novomatic
Gusenbauer, der neoliberale Lobbyist
Schröder, Ex-Bundekanzler, im Dienste von Gazprom
José Manuel Barroso, Ex-Ministerpräsident und Ex-EU-Kommissionspräsident, jetzt im Dienste der US-Investmentbanker Goldman Sachs

Novomatic hat schon viele Ex-Politiker beschäftigt.
Johannes Hahn, EU-Kommissar, war von 1997 bis 2003 während seiner Zeit als Wiener ÖVP-Landtagsabgeordneter Novomatic-Vorstand;
Karl Schlögl, Ex-SPÖ-Innenminister, saß von 2004 bis 2011 im Aufsichtsrat des Unternehmens;
Alfred Gusenbauer, Ex-Kanzler, beriet Novomatic in Südamerika und Osteuropa.

Wer hat sich da empört?
Es ist zum Speiben. Wo bleibt die Moral dieser Leute?
Haben wir ein Recht den moralischen Stab über sie zu brechen?
Formalrechtlich haben sie (nehmen wir das auch bei Gusenbauer mal an) nichts Unrechtes getan.

Dass die grünen Funktionäre und alle Grün-Engagierten über einen solchen Schritt von Eva Glawischnig enttäuscht sind, ja sich geohrfeigt und verraten fühlen, ist verständlich.
Auch wir brechen den „Moralstab“ über sie. Zu recht, denn sie hat auch uns enttäuscht. Sie hat sich als Wächterin und Verteidigerin der Schwachen engagiert, sie hat Korruption und Misswirtschaft angeprangert, sie hat sich für Umwelt und Klima eingesetzt, und jetzt ist sie im Sold eines Glückspielkonzerns, der seine Milliarden mit den meist vergeblichen goldenen Träumen von Schwachen und Süchtigen verdient.
Der „Moralstab“ ist aber auch über die Wortführer der verschiedenen linken Gruppen zu brechen, die sich nicht bemühen, zu einer gemeinsamen Strategie zu finden und gemeinsame Positionen zu vertreten und lieber jede für sich „Führungsansprüche“ stellen.
Zu verachten sind auch Wortführer, die besorgt sind über ihre Führungsrolle und andere austricksen, oder sogar manche Ideen fallen lassen, sobald sie persönliche Nachteile befürchten.

Verurteilen wir zu recht? Der von uns werfe den ersten Stein, der nie in irgend einer Weise für oder in „unmoralischen“ Unternehmen gearbeitet hat, der Geld für Aktivitäten verdient hat, die eigentlich mit strengen moralischen Maßstäben nicht (mehr) zu rechtfertigen sind.

Zu Recht? Der von uns werfe den ersten Stein, der die unmoralische Firmenpension von Ex-VW-Chef Winterkorn von täglich EURO 3.100 oder die Millioneneinkommen bekannter Milliardäre wie z.B. Didi Mateschitz (womit lässt sich die Umweltbelastung des Formel 1 Zirkus heute noch rechtfertigen, womit die Energieverschwendung durch die Produktion der Milliarden von kleinen Aluminiumdosen?) mit gleicher Vehemenz verurteilt.

Zu Recht? Der von uns werfe den ersten Stein, der die großen weltweit agierenden Unternehmen wie Apple, Ikea, Novartis, Mondi, Daimler, Magna etc., die durch Steuervermeidungstricks (besser die unverantwortliche Steuerabstinenz) und auch durch umwelt- und menschenverachtende Produktionsweisen in ausgelagerten Produktionsstätten, die Vernichtung unseres Planeten beschleunigen, mit gleicher Heftigkeit verurteilt und es konsequent vermeidet, deren Produkte zu kaufen und zu verwenden.
Moralisch schuldig bin auch ich selbst. Ich war in den 70-er Jahren von IKEA-Möbeln begeistert, weil sie variabel und finanzierbar waren. . Ich lehne Apple-Produkte ab, aber sind Mcrosoft-Produkte besser als Apple? Ich fahre seit Jahrzehnten Dieselfahrzeuge und bin viel in der Welt herum geflogen und werde gelegentlich wieder fliegen.

Es steht jedem von uns frei, den Stab über die Gusenbauers, Glawischnigs etc. zu brechen oder vor lauter Frust jeglicher Politik komplett den Rücken zu kehren. Gut ist beides nicht, weil wir dadurch den Blick auf das Wesentliche verlieren könnten. Das Wesentliche wäre z.B.: Würden wir unsere globale Produktionsweise, den ungerechten Welthandel und viele unserer Produkte und Waren mit moralischem Maßstab messen, so müssten wir das meiste vehement ablehnen. Aber wir konsumieren weiter und arbeiten weiter. Weil die Möglichkeiten, moralisch einwandfreie Arbeitsplätze zu finden, leider eingeschränkt sind und weil es unbequemer und oft unmöglich ist, immer umwelt- und sozial-bewusst einzukaufen und sich nur umweltfreundlich fortzubewegen.
green cloths für Männer? (in der Porzellangasse gibt es ein Geschäft, das zwei Hosentypen von fair trade hat); Produkte aus Asien sind nicht immer vermeidbar. Getränke in Glasflaschen? Lebensmittel vom Bauernmarkt sind nicht alle bio, aber wenigstens nicht vonSupermärkten. Außer Klopapier und Bier kaufe ich nichts bei REWE.

Gut, empören wir uns – aber auch gegen das System.
Wie empöre ich Niemand mich gegen das System? Ich gehe bei manchen Demos mit, ich hinterfrage Informationen und gebe widerspenstige weiter. Manchmal melde ich mich bei öffentlichen Diskussionen zu Wort und schreibe gelegentlich Briefe oder E-mails an PolitikdarstellerInnen. Ich gehe zu Bezirksvertretungssitzungen und deponiere meine Meinung, wozu?

Ja, ich empöre mich, aber wer merkt das außer meine Frau und die Senattacis? Wirksam ist das erst, wenn viele ihre Empörung ausdrücken. Da fehlen noch viele!
Oder braucht es Widerstand? Da genügen schon wenige, wenn sie es öffentlichkeitswirksam machen. Auftritte von PolitikdarstellerInnen stören? Sie attackieren? Greenpeace-ähnliche Aktionen durchführen)? Wer könnte für das System das Ziel sein? Wie organisiert man Widerstandszellen? Ich wäre dabei.

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