Analyse der Klima- und Energiestrategie der österreichischen Bundesregierung vor dem Konsultationsprozess

Michael Torner, KlimAttac, April 2018

Hier der Regierungsentwurf: www.mission2030.bmnt.gv.at.

Zusammenfassung:

Es ist schlimmer als befürchtet:
Das vorliegende Dokument ist kein Strategiepapier, sondern in weitesten Teilen eine ausufernde Zusammenstellung von denkbaren Möglichkeiten, eine Sammlung von Ideen, gelisteten Vorschlägen und Absichtserklärungen und eine Ansammlung von Allgemeinplätzen.

Konkrete Zahlen mit Zielwerten und Angabe des Zeithorizonts der Umsetzung finden sich nur zur

  • Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 36% gegenüber 2005 (EU-Vorgabe) mit Reduktionsangaben im Verkehr und Gebäudebereich von 31% bzw. 37%. Die Sanierungsrate im Gebäudesektor wird gegenüber dem in der österreichischen Energiestrategie 2010 fixierten Wert von 3% auf 2% abgesenkt.
  • Die Deckung des nationalen Gesamtstromverbrauches im Jahr 2030 soll zu 100% (national bilanziell) aus erneuerbaren Energiequellen erfolgen, der Anteil erneuerbarer Energie am Bruttoendenergieverbrauch bis 2030 auf 45 – 50% angehoben werden.
  • Der Ausstieg aus Ölheizungen im Neubau soll in allen Bundesländern ab spätestens 2020 erfolgen, der Ausstieg aus dem Ölheizungsbestand ab spätestens 2025.
  • Erhöhung des Radanteils in Österreich von 7% auf 13% bis 2025, Seite 27

Bei keiner dieser konkreten Ankündigungen sind organisatorische Maßnahmen, Instrumente und Zwischenschritte der Durchführung angeführt. Vor allem aber fehlen bei allen Vorhaben Angaben über die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Im Gegenteil, es wird die Einhaltung der budgetären Obergrenzen gefordert und auf den Finanzrahmen 2019-2022 hingewiesen, in welchem das Budget für Umwelt, Energie und Klima im Jahr 2022 um ca. 17% gegenüber 2017 reduziert wird.
Für sämtliche weiteren angedachten Maßnahmen in den Bereichen Energiesystem, Mobilität, Wärme bzw. Gebäude, Energieforschung und Innovation fehlen Zielwerte, Zeitpläne und Zuständigkeiten.

Eine Zumutung ist die Bezeichnung „Leuchtturmprojekte“ für die abschließend angeführten 10 „Maßnahmen“. Diese sind keine abgeschlossenen erfolgreichen Pilotprojekte, sondern Ankündigungen von Forschungsvorhaben, Demoprojekten, Maßnahmen und künftigen Ausarbeitung von Konzepten.

Die Anforderung an ein Strategiepapier wäre eine Zusammenstellung konkreter Handlungsanleitungen für die Politik mit Zielwerten und Zeiträumen ihrer Durchführung. Die vorliegende Klima- und Energiestrategie kann dies in keiner Weise leisten.

Detailanalyse einiger Kapitel, Zitate in „kursiv“.
Anschließend an das übliche Einleitungskapitel und einer Bestandsaufnahme im Kapitel „Wo Österreich heute steht“ werden im Kapitel „Ziele für ein klimaverträgliches Wirtschaftssystem“ die 3 Säulen der Strategie beschrieben. In der Säule „ökologische Nachhaltigkeit“ sind einige der ganz wenigen Zahlenwerte angeführt:
Treibhausgasziele (S. 13ff):
„Österreich wird seine Treibhausgasemissionen [außerhalb des EU-Emissionshandels] bis 2030 um 36% gegenüber 2005 reduzieren [EU-Vorgabe]… was eine Abnahme [gegenüber 2016] um rund 28% bedeutet“.
Im Sektor Verkehr ist „bis 2030 eine Reduktion der Emissionen um 7,2 Mio. t CO 2eq auf rund 15,7 Mio. t CO 2eq, (aktuell 22,9 Mio. t CO 2eq vorgesehen“, also eine Reduktion um 31%.
Im Gebäudesektor können durch thermische Sanierung „die Emissionen bis 2030 sozial- und wirtschaftsverträglich um rund 3 Mio. t CO 2eq von auf 5 Mio. t CO 2eq (aktuell 8 Mio. t CO 2eq ) vermindert werden“ also eine Reduktion um37,5%. Dazu ist eine „Anhebung der Sanierungsrate von derzeit 1% auf durchschnittlich 2%“ (S. 32) nötig (dies entspricht allerdings einer Absenkung gegenüber der österreichischen Energiestrategie 2010 mit dem Wert von 3%).

Erneuerbare Energie:
Österreich setzt sich das Ziel, den Anteil erneuerbarer Energie am Bruttoend-energieverbrauch bis 2030 auf 45 – 50% anzuheben. Derzeit liegt der Anteil bei 33,5%.
Ziel ist es darüber hinaus im Jahre 2030 den Gesamtstromverbrauches zu 100% (national bilanziell) aus erneuerbaren Energiequellen zu decken.

Energieeffizienz:
Der Vorschlag der Europäischen Kommission… sieht ein Energieeffizienzziel von 30% für 2030 auf EU-Ebene vor“. Der „Innovation Leader Österreich“ macht hier von der – legalen – Möglichkeit Gebrauch, das Energieeffizienzziel als relative Einsparung basierend auf dem Bruttoinlandsprodukt zu definieren.
Da auch in Zukunft Wachstum ermöglicht werden soll …, wird für Österreich das Ziel gesetzt, die Primärenergieintensität um 25 – 30% gegenüber 2005 zu verbessern“.

In der Säule „Versorgungssicherheit“ wird indirekt die Eignung erneuerbarer Energieträger in Bezug auf Versorgungssicherheit in Frage gestellt:
Der Versorgungssicherheit … ist höchste Priorität beizumessen, … notwendige Flexibilität bereit zu stellen …Eine besondere Rolle spiele hierbei hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK-Anlagen), die zur Aufrechterhaltung der Strom- und Wärmeversorgung insbesondere in Ballungsräumen notwendig sind“, also durch fossile Gaskraftwerke. Die Bedeutung von Gas wird nochmals betont durch „Die wesentliche Rolle Österreichs als eine wichtige Drehscheibe für den europäischen Gasmarkt, einschließlich der Speicherung von Gas in Langzeitspeichern, soll im Sinne der gesamteuropäischen Versorgungssicherheit weiter gewährleistet sein.

In der Säule „Wettbewerbsfähigkeit und Leistbarkeit“ werden Gemeinplätze und Floskeln aneinander gereiht; erwähnenswert ist der Satz unter der Überschrift „Budgetäre Leistbarkeit“:
Die Bundesregierung bekennt sich daher vor dem Hintergrund der langfristigen Herausforderungen der Dekarbonisierung zu einer nachhaltigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und zur dauerhaften Senkung des gesamtstaatlichen Schuldenstandes.

Generell fehlt bei all diesen Ankündigungen organisatorische Maßnahmen, Instrumente und Zwischenschritte der Durchführung. Vor allem aber fehlen bei allen Vorhaben Angaben über die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

Im Kapitel „Was uns wichtig ist“ (S. 19ff) werden unter den Überschriften wie
„ENERGIE ALS GESAMTSYSTEM (SEKTORKOPPLUNG),
ERHALT EFFIZIENTER BESTANDSANLAGEN,
DEKARBONISIERUNG OHNE ATOMSTROM,
EMISSIONSARME MOBILITÄT DER ZUKUNFT,
TECHNOLOGIENEUTRALITÄT AUF DEM DEKARBONISIERUNGSPFAD BIS 2050,
STANDORT – WACHSTUM UND ARBEITSPLÄTZE SCHAFFEN UND SICHERN,
FORSCHUNG UND INNOVATION AL STRIEBKRAFT FÜR ÖSTERREICHISCHE LÖSUNGEN AUF GLOBALEN MÄRKTEN,
DIGITALISIERUNG ALS CHANCE –UNABHÄNGIGKEIT UND WAHLFREIHEIT STÄRKEN

Allgemeinplätze angeführt wie „gesucht ist ein ausgewogener Energiemix“, „In der Mobilität ist bis 2050 eine weitgehende Dekarbonisierung möglich“, „Innovationen und Investitionen brauchen geeignete Rahmenbedingungen.“ usw.

Im Kapitel „Österreichs Weg zum Ziel: Was wir tun wollen“ (S. 23ff) sind 8 „Aufgaben“ definiert, u.a.
„AUFGABE 1: INFRASTRUKTUR FÜR EIN NACHHALTIGES ÖSTERREICH AUSBAUEN“
Die in den vorhergegangenen Kapiteln bereits erwähnten Themen wie z.B. Mobilität, Gebäude, Energiesysteme usw. werden hier zum zweiten Mal aufgegriffen, jedoch aus dem Blickwinkel der für diese Sektoren notwendigen Infrastruktur.
Einzig konkret: „Erhöhung des Radanteils in Österreich von 7% auf 13% bis 2025“ (S. 27).
Aber sonst wieder nur Statements ohne Anführung konkreter organisatorischer, legislativer oder gar finanzieller Maßnahmen sondern nur eine Aufzählung einer zusammengetragenen Sammlung von Möglichkeiten.

Gleiches gilt auch für die übrigen „Aufgaben“.

Erwähnenswert ist noch die
„AUFGABE 3: EVALUIERUNG DES FÖRDER- UND ABGABENSYSTEMS ZUR ERREICHUNG DER KLIMA- UND ENERGIEZIELE“, da im Kapitel „Wechselwirkungen mit dem Budget- und Steuersystem“ indirekt auf die Einhaltung eines Nulldefizites hingewiesen wird: „Budgetschonende Änderung der gesamtstaatlichen Ausgabenstruktur“, sowie „Einhaltung der budgetären Obergrenzen:
Alle Maßnahmen des Bundes müssen innerhalb der Obergrenzen des jeweils geltenden Bundesfinanzrahmens ihre budgetäre Bedeckung finden. Dies impliziert auch eine strikte Einhaltung der Bundesvoranschlag für die Jahre 2018 und 2019 sowie der Obergrenzen des Bundesfinanzrahmengesetzes (BFRG) 2019-2022.

Nun sind im Doppelbudget 2018/2019 keine zusätzlichen Mittel vorgesehen, um über die bis dato im Rahmen von „Business as Usual“ getätigten Klimamaßnahmen hinausgehende, für die Dekarbonisierung notwendigen Maßnahmen zu finanzieren. Im Gegenteil, im BFRG 2019-2022 sinkt sogar das Budget im Bereich Umwelt, Klima, Energie bis 2022 um ca. 17% gegenüber 2017!
Woher die finanzielle Deckung kommen soll, wird mit keinem Wort erwähnt.

Grenzwertig wird es bei den Leuchtturmprojekten (S. 48ff)
Leuchtturmprojekte sind – jedenfalls in der Fachliteratur über Dekarbonisierung – herausragende und bereits errichtete oder durchgeführte erfolgreiche Pilotprojekte, die als Maßstab für eine Umsetzung im großen Maßstab dienen. In diesem Papier jedoch gibt es zum Teil noch nicht einmal Pläne für den Bau bzw. Umsetzung, geschweige denn eine durchgeführte Errichtung oder abgeschlossenes Projekt. Zum dritten Mal werden in diesen 10 Leuchtturmprojekten die Themen Mobilität, Gebäude, Energiesysteme usw. zusammen mit deren allgemeinen Floskeln nun in einzelnen Teilbereichen wieder aufgenommen, so z.B. im
„LEUCHTTURM 1: EFFIZIENTE GÜTERVERKEHRSLOGISTIK“.
Angeführt wird als „Maßnahme 1:effiziente Güterverkehrslogistik:
Nach der einleitenden Beschreibung der „Ausgangslage“ folgt das „Zielbild“:
Die öffentliche Hand, sowie die Logistik- und Transportindustrie verfolgen das Ziel, die bestehende und zukünftige Verkehrsnachfrage effizienter abzuwickeln, negative Effekte des Güterverkehrs zu reduzieren und ein qualitativ hochwertiges Verkehrsangebot zu gewährleisten. Trotz der erwarteten Zunahme des Güterverkehrs muss hier eine Effizienz des Gesamtverkehrssystems sichergestellt werden, die auch die speziellen Anforderungen der Gütermobilität berücksichtigt.“ Die dazu notwendigen „Maßnahmen“ lesen sich wie folgt:
Maßnahme 1: effiziente Güterverkehrslogistik:
Die Logistikförderung zielt auf die Unterstützung ganzheitlicher Ansätze unter Berücksichtigung der speziellen Anforderungen von Güterverkehr und Logistik ab……
Maßnahme 2: ….. sowie größere Pilot-/Demovorhaben in den Bereichen Automatisierung und Organisation …
Wie schon gewohnt, kein Wort über Zielwerte, Zeiträume der Durchführung oder gar über Finanzierung.

In der gleichen Art sind auch die Leuchttürme
E-MOBILITÄTSOFFENSIVE, THERMISCHE GEBÄUDESANIERUNG, ERNEUERBARER WASSERSTOFF UND BIOMETHAN, ENERGIEFORSCHUNGSINITIATIVE 1 und 2“ formuliert. Im „LEUCHTTURM 2: STÄRKUNG DES SCHIENENGEBUNDENEN ÖFFENTLICHEN VERKEHRS (ÖV)“ ist überraschenderweise – aber wieder ohne Zeitplan und Finanzierung – angeführt:
Als öffentlicher Verkehr mit hohem Verlagerungspotenzial gelten auch Nachtzugverbindungen, die Leistungen im Flugverkehr einsparen können. Mit relativ geringen (Initial-) Unterstützungen könnten neue Verbindungen aufgebaut werden.

Zahlenwerte sind lediglich angeführt im
LEUCHTTURM 5: ERNEUERBARE WÄRME“ ist unter den „Maßnahmen“ angeführt: „Der Ausstieg aus Ölheizungen im Neubau soll in allen Bundesländern ab spätestens 2020 erfolgen (Baurecht)…. Sozial verträglicher Ausstieg aus dem Ölheizungsbestand ab spätestens 2025, beginnend mit Kesseln, die älter als 25 Jahre sind.“ Und im „LEUCHTTURM 6: 100.000-DÄCHER PHOTOVOLTAIK UND KLEINSPEICHER-PROGRAMM“ unter „Maßnahmen“:
Das 100.000-Dächer Photovoltaik und Kleinspeicher-Programm soll eine Investitionsförderung zur Verfügung stellen, die Anreize zu einer verstärkten Nutzung der Dachflächen durch Photovoltaik-Module für Privatpersonen und wirtschaftstreibende setzt (Energiegesetz Neu).“ Jedoch keine Angabe über Beginn oder Zeitraum der Durchführung. Mag eventuell die Zahl 100.000 Dächer beeindrucken, so wären dies bei einer typischen 5 kW-Anlage für Einfamilienhäuser gerade einmal die Hälfte der derzeit bestehenden Dachanlagen, für 100% Strom aus erneuerbaren Energien im Jahre 2030 ist aber mindestens die 15-fache Leistung bzw. Dachanzahl nötig!

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