Was den Populisten vom Demagogen trennt

Barbara Blaha, Publizistin und Autorin,
leitet den Politkongress Momentum, 
der es sich zur Aufgabe macht, 
Politik und Wissenschaft zu verbinden
Aus: "Falter" 33/17 S. 6 (16.8.2017)

Linker Populismus heißt, möglichst vielen Menschen ihre sozialen Interessen bewusst zu machen und sie für die Politik zu aktivieren

Kaum stand im Mai der Neuwahlbeschluss fest, hob der immer gleiche Chor an. Fiskalratspräsident Felderer warnte vor „teuren Wahlzuckerln“. Der Rechnungshof mahnte einen „harten Sparkurs“ ein. ÖVP-Parlamentspräsident Kopf schlug überhaupt die Absage der letzten Nationalratssitzungen vor den Wahlen vor, weil es „keine Wahlgeschenke geben darf“. Flankierend rückte der Boulevard Leserbriefe ins Blatt, die solche Forderungen als Volkswillen erscheinen lassen sollen.
So geht Meinungsmanipulation. Klassische Ökonomen, Interessenvertreter der Wohlhabenden und konservative Kommentatoren geben als Allgemeininteresse aus, was in Wahrheit den oberen Zehntausend nützt. Erhöhte Sozialausgaben werfen schließlich die Frage nach der Finanzierung auf, und das recht plastisch. Am Beispiel des Pflegeregresses: Sollen die Kosten für die Betreuung alter und behinderter Menschen von deren Angehörigen eingetrieben werden – oder durch höhere Steuern auf ererbte Vermögen? Welchen Standpunkt die Mehrheit der Normalverdiener als gerecht empfindet, ist rasch geklärt. Für die meisten von ihnen bedeuten Regressforderungen massive Einschnitte in ohnehin nicht üppige Lebensverhältnisse. Was läge da näher, als die Lasten als Gesellschaft gemeinsam zu schultern, wobei die, die mehr haben, natürlich auch mehr geben würden?

In öffentlichen Debatten um Gerechtigkeit ist aus Sicht der Reichen kein Blumentopf zu gewinnen. Zu eindeutig sprechen die Zahlen gegen sie: Das reichste Prozent in Österreich besitzt mehr Vermögen als die unteren 90 Prozent der Haushalte zusammen. Gleichzeitig verringert sich der finanzielle Spielraum von Durchschnittsverdienern kontinuierlich. Reallöhne stagnieren, prekäre Beschäftigungsverhältnisse greifen um sich, Pensionen sinken, und Lebenshaltungskosten steigen stark an. Fast schon unnötig hinzuzufügen, dass Frauen von dieser Entwicklung besonders betroffen sind: als besonders armutsgefährdete Alleinerziehende, als Teilzeitarbeitende (denn nur für drei von zehn Kindern ist ein Betreuungsplatz vorhanden, der mit einem Vollzeitjob vereinbar wäre), als Rentnerinnen, deren Pension durchschnittlich um fast die Hälfte unter der von Männer liegt.

Als politische Vertretung der Begüterten äußern sich ÖVP und FPÖ verständlicherweise nur ungern zu Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Lieber baut man alternative Bedrohungsszenarien auf, vorzugsweise die „Flüchtlingskrise“. Wenn Soziales zum Thema wird, beschränkt sich die Rechte auf einschlägige Etiketten („soziale Heimatpartei“,“christlich-soziales Erbe“) und hantiert mit einer sozialen Demagogie, die darauf abzielt, Verantwortung für soziale Probleme den Betroffenen umzuhängen. Menschen sollen sich ihrer Arbeitslosigkeit, ihrer Einkommen, ihrer Mehrfachbelastung schämen, statt sie als Ungerechtigkeit zu begreifen. In der öffentlichen Debatte werden alle sozialen Forderungen mit dem immer gleichen Set an Schlagworten abgeblockt: „unfinanzierbar“, „leistungsfeindlich“ und vor allem: „populistisch“.

Der Politikwissenschafter Oliver Marchart hat kürzlich zu Recht darauf hingewiesen, dass der Vorwurf des „Populismus“ in sich substanzlos ist und vor allem dazu dient, den Status quo gegen alle Versuche zu verteidigen, Mehrheitsinteressen politisch zum Thema zu machen. Ergänzend ließe sich hinzufügen: negativ gewendet dient der Begriff ganz allgemein dazu, das demokratische Prinzip zu denunzieren. Denn dessen Grundidee ist ja gerade, durch die Beteiligung möglichst aller an der Entscheidungsfindung die Interessen möglichst vieler zu berücksichtigen. Wer darin ein Problem sieht, denkt und handelt antidemokratisch.

Der an die FPÖ gerichtete Vorwurf des Populismus sitzt daher bei genauerer Betrachtung einem Missverständnis auf: Strache lenkt Menschen gezielt von ihren eigentlichen materiellen Interessen ab und kanalisiert ihre Unzufriedenheit gegen Minderheiten. Das ist nicht populistisch, sondern demagogisch.

Für sich genommen ist „Populismus“ eine Agitationsform, die auf Zuspitzung und einen antielitären Habitus setzt. Eine linke Aufladung erfährt diese Strategie, wenn sie darauf abzielt, möglichst vielen Menschen ihre sozialen Interessen bewusst zu machen und sich aktiv in den politischen Prozess einzubringen, statt ihnen vorzugaukeln, man nähme sie und „ihre Sorgen“ ernst, indem man verbreitete Ressentiments, die von der Rechten zuvor verbreitet worden waren, nun selbst aufgreift.

Linker Populismus ist nicht, wider besseres Wissen einzustimmen in den Chor der Mahner vor dem „politischen Islam“, der „unsere Heimat und unsere Freiheit“ bedrohe. Linker Populismus bedeutet auszusprechen, was ist. Dass die reale Gefahr für unsere Gesellschaft in einem beispiellosen Ausmaß an sozialer Ungerechtigkeit besteht. Dass die Freiheit der breiten Mehrheit vor allem einschränkt, wer Wohnraum verteuert, Einkommen verringert, öffentliche Dienstleistungen verschlechtert und aktiv Bürgerrechte aushöhlt. Dass dieses System wenigen nützt, der breiten Mehrheit schadet und mittelfristig unsere Lebensgrundlage zu zerstören droht. Vor allem aber: dass das alles nicht so bleiben muss, wenn sich genügend Menschen wehren.

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