H. Peter Degischer Zukunftmitverantworten.org 14.06.2017
Bevor dies beurteilt werden soll: woraus setzt sich die Abgabenquote zusammen? Die OECD definiert die Abgabenquote als Summe aller Steuern und Abgaben, die an den Staat oder an eine seiner Körperschaften geleistet werden muss, ausgedrückt in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zahlungen für einen konkreten Leistungsaustausch (z. B. Wassergebühr, Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel,…) sind nicht darin enthalten, ebenso wenig wie Unterstützungen mittels Steuerermäßigungen. Deshalb ist der Vergleich der Abgabenquote verschiedener Länder abhängig vom jeweiligen Fördersystem.
Beispielsweise können Familien durch ausgezahlte Beihilfen unterstützt werden, die aus Steuermitteln bezahlt werden, oder durch Steuerermäßigungen. Letzteres scheint in der Abgabenquote nicht auf, Ersteres schon. Verpflichtende Leistungen an private Institutionen, wie Versicherungen, werden nicht gezählt.
Der unbereinigte Vergleich der offiziellen Abgabenquote laut OECD im Jahr 2015 ist Abb.1 dargestellt. Hier liegt Österreich mit 43,5% Abgabenquote hinter Dänemark, Frankreich, Belgien und Finnland an 5.Stelle, während Deutschland nur 36,9% und die Schweiz gar nur 27,9% ausweisen.
Abbildung 1: Offizielle Abgabenquote verschiedener Länder im Jahr 2015 laut OECD-Statistik ergibt im Durchschnitt 34,3%
Zur Aufstockung geringer staatlicher Sozialleistungen ermöglichen viele Staaten die freiwillige Aufzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die in der OECD-Statistik nicht mitgerechnet werden, aber die staatlichen Leistungen erhöhen. In Österreich ist beispielsweise eine freiwillige Höherversicherung für die staatliche Pension möglich, die im Gegensatz zu privaten Zusatzversicherungen nicht beworben und wenig in Anspruch genommen wird, sodass diese Beiträge in Summe nicht ins Gewicht fallen.
Relativ hohe, freiwillige Zusatzversicherungszahlungen werden im Vereinigten Königreich Großbritannien geleistet, sodass sie die Abgabenquote um etwa 1% erhöhen. In den Pensionssystemen gibt es die größten Unterschiede, je nachdem, ob sie auf Kapitaldeckung durch Pensionskassen oder auf einem staatlichen Umlageverfahren beruhen.
Die meisten Länder ermöglichen eine Kombination der beiden Vorsorgesysteme, was je nach Leistungsfähigkeit des staatlichen – in der Abgabenquote enthaltenen – beitrags- und steuerfinanzierten Systems unterschiedlich in Anspruch genommen wird. Am meisten werden private Pensionskassen in der Schweiz finanziert, was 8,3% des BIP ausmacht, während in Österreich nur 0,3% des BIP für das Kapitaldeckungssystem investiert werden.
Die Krankenversicherungen heben in unterschiedlichem Maße Selbstbehalte für diverse Leistungen ein, denen sich die Betroffenen nicht entziehen können. Je nach dem Niveau der Leistungen der staatlichen Krankenfürsorge ergänzen Bürgerinnen und Bürger ihre Gesundheitsvorsorge durch private Zusatzversicherungen, die in die Abgabenquote nicht einberechnet werden. Spitzenreiter in Europa sind in diesem Bereich die Schweiz mit Beitragszahlungen von insgesamt 3,7% des BIP, gefolgt von Griechenland mit 3,2%. In Österreich werden 2,5% des BIP für Zusatzversicherungen aufgewendet.
Ähnliche Unterschiede gibt es im Bildungsbereich. In Österreich ist die Schulbildung – Unterricht und Lehrmittel – für Schülerinnen und Schüler weitgehend kostenfrei, da sie wie staatliche Stipendien aus Steuermitteln finanziert wird. In vielen Staaten sind teils hohe Eigenleistungen erforderlich. Private Bildungsausgaben summieren sich im Vereinigten Königreich Großbritannien zu 3% des BIP, während sie in Österreich nur 0,3% ausmachen.
Die OECD-Daten können zur besseren Vergleichbarkeit durch verpflichtende Zahlungen an private Institutionen adaptiert werden, indem diese den staatlichen Abgaben hinzugezählt werden. Daraus ermittelt V. Mühlböck die Abb.2, wo zwar die Abgabenquote Österreichs auf 46,7% erhöht wird, aber von Italien, Island und den Niederlanden überholt wird und auf Platz 8 zurückfällt. Deutschland und die Schweiz kommen mit 40% auf den Positionen 15 und 16 näher heran. Der Durchschnittswert der adaptierten Abgabenquoten der OECD-Länder wächst auf 40,3%, sodass der Abstand Österreichs auf 6,4% schrumpft.
Frau V. Mühlböck schließt, dass diese Adaptierung der Abgabenquote nicht vollständig ist und führt an, dass Förderungen durch Steuernachlässe auch nicht berücksichtigt wurden. Das Niveau und die Wirksamkeit der staatlichen Leistungen können kaum verglichen werden. Hierfür wäre eine Befragung der Bürgerinnen und Bürger erforderlich, wobei diese die Leistungen der anderen Staaten kennen müssten.
Im Vergleich zu Deutschland ist es im Gesundheitswesen sehr schwierig, da es da wie dort unterschiedliche Krankenkassen gibt und das Bildungswesen in den deutschen Bundesländern sehr unterschiedlich ist. Hinsichtlich der Leistungen der allgemeinen Pensionsversicherung schneidet Österreich eindeutig besser ab.
Abbildung 2: Adaptierte Abgabenquote der OECD-Länder im Jahr 2015 nach V. Mühlböck ergibt 40,3% im Durchschnitt.
Staatliche Leistungen reduzieren?
Eine Senkung der Abgabenquote hat eine Reduzierung der staatlichen Leistungen zur Folge. Wie bei früheren Wahlwerbungen der ÖVP und FPÖ versucht auch die Kurz-ÖVP mit der Senkung der Abgabenquote Wähler zu ködern, indem sie die im Vergleich mit anderen Staaten angeblich hohe Abgabenquote kritisiert, ohne die Bedeutung zu analysieren (siehe oben).
Die Schwarz-Blaue Regierung gab sogar vor, die Abgabenquote auf 35% zu senken. Andererseits würde eine erhöhte Wirtschaftsleistung (BIP) die Abgabenquote senken. Bisher ist eine Senkung der Abgabenquote nicht gelungen, obwohl das BIP seit dem Jahr 2000 um 30% gestiegen ist.
Eine Reform des Steuersystems zugunsten der Arbeitseinkommen ist wünschenswert, aber der erste Ansatz wird die Senkung der Körperschaftssteuer sein, um beim EU-Steuerwettbewerb nach unten mitzumachen.
Jedenfalls sind die Arbeitseinkommen wesentlich höher besteuert als die Kapitaleinkommen. Die Hasuhalte mit niedrigen und mittleren Einkommen (90% der Bevölkerung) sind durch Sozialversicherungsabgaben und Steuern, besonders durch die Verbrauchssteuern, relativ hoch belastet.
Nur etwa 1,4% des Steueraufkommens stammen von vermögensbezogenen Abgaben. Wenn Finanztransaktionssteuer, Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer eingeführt würden, könnten die Steuern auf Arbeit stark reduziert werden, das wäre eine sinnvolle Wahlwerbeparole, sollte aber die Abgabenquote unverändert lassen.
Da Steuern auch steuern sollen, wären endlich ökologische Aspekte in das Steuersystem einzubeziehen. Die Reform des Steuersystems, nicht die Kürzung öffentlicher Leistungen wäre ein wichtiges Wahlkampfthema.
In einem Interview mit innovativen mittleren Unternehmen im ORF-Wirtschaftsmagazin „Saldo“ wurden als Standortvorteile Österreichs das Ausbildungssystem, die Innovationsförderungen und die gesellschaftliche Stabilität genannt, aber gleichzeitig die Steuerbelastung beklagt, ohne zu beachten, dass die Standortvorteile über Steuern finanziert werden.
Geschätzte 99% der Bevölkerung benötigen die staatlichen Leistungen der Gesundheitsdienste, für Kinderbetreuung und für das Schulsystem, des Polizeiwesens und der Dokumentation, sowie in der Mobilität. Darüber hinaus ist fast jeder von uns irgendwann zumindest temporär auf Sozialleistungen angewiesen, von denen manche lebensnotwendig sind. 70% der Abgabenquote sind für Sozialleistungen des Staates, d.h., in Österreich beträgt die Sozialquote 30%. Es ist erstaunlich, dass sich diese trotz der Krisen seit dem Jahr 2000 nicht verändert hat.
Im Ranking der Sozialquote liegt Österreich an 8. Stelle der EU-Länder, hinter den skandinavischen Ländern und hinter Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Italien.
Die Kürzungen „fehlgeleiteter“ Sozialleistungen (bedarfsorientierte Mindestsicherung, Sozialleistungen für ausländische Arbeitskräfte etc.) ermöglichen bestenfalls eine Reduzierung der Abgabenquote um 0,5%-Punkte. Sozialleistungen für Familien und Kinder sind in Österreich extrem gering: nur 3%-Punkte der Abgabenquote werden für sie eingesetzt. Dabei wird der „return of social investments“ (Rentabilität von Sozialausgaben) völlig außer Acht gelassen.
Stadtrat Tandler drückte das in der Zwischenkriegszeit so aus: „Was wir für die Jugend ausgeben, werden wir an Gefängnissen ersparen. Was wir für Schwangeren- und Säuglingsfürsorge verwenden, ersparen wir an Anstalten für Geisteskranke.“
Hier wäre noch die Integration der Flüchtlinge zu ergänzen, die nicht nur Gefängnisse erspart, sondern auch leistungsfähige MitbewohnerInnen heranbildet.
Die Gerüchte über „Hartz-IV“ Modelle für Österreich betreffen die Arbeitslosen, für die 2%-Punkte der Abgabenquote eingehoben werden. Also von den Bedürftigsten wird nicht viel zu holen sein, denn sie bekommen nicht viel.
Vielleicht hat die Kurz-ÖVP die Pensionen im Visier, denn diese umfassen etwa 50% der Sozialleistungen und bilden ein Drittel der Abgabenquote. Sie sind im Schnitt zu etwa einem Viertel aus Steuern finanziert, die große Zahl der ASVG-PensionistInnen (ArbeiterInnen und Angestellte) zu 20%, die GSVG/FSVG PensionistInnen (Gewerbe und freie Berufe) zu 50% und die BSVG-PensionistInnen (Bäuerinnen und Bauern) zu 80%. Das staatliche Pensionssystem basiert auf der Finanzierungsaufteilung zwischen ArbeitnehmerInnen (die fallen bei den Selbständigen aus), ArbeitgeberInnen und max. einem Drittel durch den Staat.
Die Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters mit der durchschnittlichen Lebenserwartung klingt plausibel. Abgesehen davon, dass es dafür mehr Arbeitsplätze geben muss, unterscheidet sich die tatsächliche Lebenserwartung der Personen der niedrigen Einkommensgruppen stark von denen der hohen Einkommen. Diese „Mortalitätsdifferenz“ könnte als Maß für die Pensionsleistungen herangezogen werden.
Einkommensdifferenzierte Auszahlungsraten wären gerecht, damit nicht die Pensionen der Höherverdiener durch die Beiträge der niedrigen Einkommen subventioniert werden. Die Abgabenquote würde dadurch kaum zu senken sein.
Bürokratie ist oft lästig und redundant, aber sie sorgt auch für Bürgerdienste und Einhaltung der Gesetze. Die Empfehlungen des Rechnungshofes zur Verwaltungsreform könnten Effizienzsteigerungen bewirken.
Gerade die Unternehmen neigen dazu, Gemeingut übermäßig zu nutzen und Steuern zu „optimieren“, was die Steuerlast auf andere verschiebt.
Die Einhaltung gesellschaftlicher Regeln und Gesetze braucht Beamte, denn erfahrungsgemäß werden die Gesetze nicht durch alle Bürgerinnen und Bürger freiwillig befolgt. Eine Reduktion der Beschäftigten bei Bund, Ländern und Gemeinden, die Einsparungen in Milliardenhöhe bringen sollen, müsste in der Größenordnung von einem Viertel bis zur Hälfte vorgenommen werden, was die Arbeitslosenzahlen signifikant erhöhen würde. Was sagt die Gewerkschaft der öffentlichen Bediensteten dazu?
Ein Fundament für einen gedeihlichen Sozialstaat muss auf einer breiten Finanzierungsgrundlage durch alle gesellschaftlichen Gruppen basieren.
Der neoliberale Grundsatz der Kurz-ÖVP (wie auch der NEOS und der FPÖ) lautet „weniger Staat, mehr privat“. Das wird die Unter- und Mittelschicht (90%) der Bevölkerung treffen, die auf staatliche Leistungen in den verschiedenen Lebenslagen angewiesen sind.
Der Ruf nach Senkung der Abgabenquote bedeutet Klassenkampf von oben. Wir müssen uns wehren und uns für zukunftsorientierte Steuergerechtigkeit einsetzen.
Herr Kurz hat vorgeschlagen, die Mehrwertsteuerermäßigungen (10 Prozent für Nahrungsmittel, Medikamente, Bücher, Zeitungen, Wohnungsmieten, kulturelle Veranstaltungen (Theater, Kino, Konzerte etc.), die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, Heizmittel); für Beherbergung sowie für Eintrittskarten im kulturellen Bereich wurde sie ab 1. Mai 2016 auf 13 Prozent angehoben) teilweise zu streichen. Also die Staatseinnahmen zu erhöhen, was natürlich auch die Abgabenquote erhöhen würde. Er kennt sich noch nicht so gut aus bei den Steuern. Vielleicht kann man ihm noch die Erbschaftssteuer schmackhaft machen als Zusatzeinnahme?
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