Unternehmerische Sorgfaltspflicht für Menschenrechte und Umwelt

Offener Brief der Treaty Alliance Österreich

Wien, 17. Juni 2020
Sehr geehrte Frau Präsidentin von der Leyen,
sehr geehrter Herr Hoher Vertreter Borrell,
sehr geehrter Herr Kommissar Reynders,
wir, die Treaty Alliance Österreich, sind ein Zusammenschluss von Organisationen, die sich für die Schaffung verbindlicher Regeln für Unternehmensverantwortung zur Achtung der Menschenrechte und Umwelt einsetzen. Die durch die Covid-19 Pandemie ausgelöste Krise verschärft bestehende soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten innerhalb der EU sowie auf globaler Ebene. Es braucht jetzt dringender denn je verbindliche Regeln, um Schaden an Menschen und an der Umwelt durch Unternehmensaktivitäten abzuwenden.

EU-Rechtsvorschrift zu verbindlichen unternehmerischen Sorgfaltspflichten

Die Treaty Alliance Österreich begrüßt die Ankündigung eines Vorschlags für eine EU-Rechtsvorschrift zu verbindlichen unternehmerischen Sorgfaltspflichten, welcher laut Kommissar Didier Reynders 2021 von der Kommission vorgelegt wird. Ebenso begrüßen wir die angekündigte öffentliche Konsultation.
Wir befinden uns derzeit in einer Klima-, Gesundheits- und Menschenrechtskrise. Wir erleben die Verwundbarkeit von Lieferketten und die Abhängigkeit von Importen. Die Treaty Alliance Österreich teilt die Auffassung des Europäischen Parlaments, dass die Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt eine notwendige Voraussetzung ist, damit künftige Krisen verhindert und abgeschwächt und nachhaltige Wertschöpfungsketten sichergestellt werden (Entschließung vom 17. April 2020 zu abgestimmten Maßnahmen der EU zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie und ihrer Folgen P9 TA(2020)0054).
Die Treaty Alliance Österreich begrüßt die Veröffentlichung der von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie „Study on due diligence requirements through the supply chain“. Das Ergebnis: Nur ein Drittel der
befragten Unternehmen führt Sorgfaltsmaßnahmen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt durch
. Die Maßnahmen beschränken sich in der Regel auf direkte Zulieferbetriebe. Diese Erkenntnisse zeigen, dass die Schaffung verbindlicher Regeln notwendig ist, da freiwillige Maßnahmen nur in sehr geringem Umfang stattfinden.
Die Treaty Alliance Österreich hat der österreichischen Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck im Feber 2020 einen Brief übermittelt und verbindliche unternehmerische Sorgfaltspflichten gefordert. Wir freuen uns, der Kommission die Antwort des Wirtschaftsministeriums zur Kenntnis zu bringen: „Wir werden uns konstruktiv auf europäischer Ebene bei einer möglichen europäischen Lösung einbringen.“

Unternehmerische Sorgfalt für Menschenrechte und Umwelt – so geht’s

Die UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte beschreiben unternehmerische Sorgfalt in vier Schritten. Aus Sicht der Treaty Alliance Österreich sollten Unternehmen zur Umsetzung dieser Schritte rechtsverbindlich verpflichtet werden: 1.) Risikoanalyse (Ermittlung und Bewertung von Risiken (potenzieller) nachteiliger Auswirkungen der Unternehmensaktivitäten auf Menschenrechte und Umwelt) 2.) Folgemaßnahmen (unternehmensinterne Verantwortlichkeiten festlegen, nachteilige Auswirkungen beenden/verhindern) 3.) Wirksamkeitsüberprüfung (verfolgen, ob die Maßnahmen greifen) 4.) Kommunikation (Berichterstattung über den Umgang mit (potenziell) nachteiligen Auswirkungen von Unternehmensaktivitäten). Die im Unternehmen vertretenen Gewerkschaftsorganisationen sollten eingebunden werden.

Anforderungen an die EU-Rechtsvorschrift

Die Treaty Alliance Österreich begrüßt die von Kommissar Reynders angekündigten Eckpunkte des Vorschlags für eine EU-Rechtsvorschrift: Unternehmen werden verpflichtet, Sorgfaltsmaßnahmen für Menschenrechte und Umwelt durchführen. Die Regelung wird für sämtliche Sektoren gelten und sie wird einen Durchsetzungsmechanismus enthalten. Darüber hinaus muss die angekündigte EU-Rechtsvorschrift aus Sicht der Treaty Alliance Österreich folgende Anforderungen erfüllen:
Geltungsbereich: Die EU-Rechtsvorschrift muss für alle Unternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat gelten sowie für Unternehmen, die im Binnenmarkt Produkte in Verkehr bringen oder Dienstleistungen anbieten. Sämtliche international anerkannten Menschen- und Arbeitsrechte sowie
Umwelt- und Klimastandards sind zu achten.
Reichweite der Sorgfaltspflicht: Die Sorgfaltspflicht muss die gesamte Lieferkette (das eigene Unternehmen, Tochtergesellschaften, Subauftragnehmer und Zulieferbetriebe) umfassen.
Reichweite der Haftung: Unternehmen müssen für Schäden haften; sowohl für Schäden, die durch eigene Unternehmensaktivitäten verursacht werden als auch für Schäden in der Sphäre Tochterunternehmen sowie von Unternehmen, zu denen eine Geschäftsbeziehung besteht; in letzterem Fall vorausgesetzt, es besteht ein direkter Zusammenhang zu Produkten, Dienstleistungen oder Tätigkeiten des eigenen Unternehmens und die gebotene Sorgfalt wurde außer Acht gelassen.
Wirksame Abhilfe für Betroffene: Betroffene von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in Zusammenhang mit Unternehmensaktivitäten müssen Zugang zu wirksamer Abhilfe erhalten. (Geldstrafen, die an die öffentliche Hand gehen, sind keine Abhilfe für Betroffene.) Die örtliche Gerichtszuständigkeit in der EU muss sichergestellt und effektive Rechtsbehelfe vorgesehen werden. Die Beweislast muss fair verteilt werden. Die EU-Rechtsvorschrift zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten muss als übergeordnetes Recht neben den Regeln des internationalen Privatrechts zur Anwendung kommen. Verjährungsfristen dürfen nicht zu knapp bemessen sein.
Strafen und Sanktionen: Neben der Haftung für Schäden müssen Verstöße der Unternehmen gegen die in der EU-Rechtsvorschrift vorgegeben Pflichten auch Verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Behördenzuständigkeit und Kontrollorgane sind festzulegen.

Verbindliches UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten („UN Treaty“)

Die Treaty Alliance Österreich fordert die Kommission auf, verbindliche unternehmerische Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umwelt auch auf der Ebene der Vereinten Nationen voranzutreiben. Der UN Menschenrechtsrat hat mit der Resolution 26/9 vom 14.7.2014 eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe mit dem Auftrag eingerichtet, ein bindendes internationales Rechtsinstrument auszuarbeiten. Im Oktober 2020 findet die sechste Verhandlungsrunde in Genf statt. Die Treaty Alliance Österreich fordert die EU auf, endlich in die Verhandlungen einzusteigen. Dazu braucht es das Mandat der EU-Mitgliedstaaten. Die Treaty Alliance Österreich fordert die Kommission daher auf, einen Entwurf für ein Mandat vorzulegen. Kritikpunkte der EU am ersten Entwurf für ein Abkommen (zero draft) wurden aufgegriffen und in den überarbeiteten Entwurf (revised draft vom 16.7.2019) eingearbeitet.
Die Treaty Alliance Österreich ersucht die Kommission um Berücksichtigung ihrer Anliegen. In der Mitteilung der Kommission zum Europäischen Grünen Deal ist festgehalten: „Die EU als Ganzes ist in der Lage, ihre Wirtschaft und Gesellschaft umzugestalten, um sie auf einen nachhaltigeren Weg zu bringen. Sie kann auf ihren Stärken als Vorkämpfer in den Bereichen Klima- und Umweltschutzmaßnahmen, Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechte aufbauen.“ Wir fordern die Kommission auf, in diesem Sinne rasch zu handeln.
Mit freundlichen Grüßen
Treaty Alliance Österreich
Die Treaty Alliance Österreich ist ein Zusammenschluss von Organisationen, die sich für die Schaffung verbindlicher Regeln für Unternehmensverantwortung zur Achtung der Menschenrechte und Umwelt einsetzen. Mitglieder der Alliance sind: AG Globale Verantwortung, AK EUROPA (Arbeiterkammer), Brot für die Welt, Dreikönigsaktion, FAIRTRADE Österreich, FIAN, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) und Südwind.

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