Ich als mündiger Bürger…

Gabriel Fauner, Zukunft Mitverantworten, SenAttac - 05.06.2016 - 14.5.2019

Manifest des mündigen Bürgers

RechteRegelnImmer wieder wird in der Volkswirtschaftslehre und von den Hohenpriestern der neoliberalen Glaubenslehre gepredigt, dass der selbstbestimmte, rundum informierte Bürger ja frei und selbstbewußt entscheiden könne, ob und welches Produkt er kaufen will. Deshalb sei es ganz in Ordnung, dass alle Produkte in den Regalen der Kaufhäuser und Supermärkte stehen, von den besten Qualitätsprodukten bis zur umwelt- und gesundheitsschädlichen Ramschware. Ebenso finden es diese Heilsverkünder in Ordnung, dass eventuelle Risikohinweise oder Prellklauseln in winziger Schrift auf den Verpackungen oder als Anhänge in den Verträgen abgedruckt werden, aber volle Gültigkeit haben sollen. Unternehmensvertreter genieren sich nicht, öffentlich zu erklären, Menschenrechte seien nicht ihr Geschäft. „Der Staat“ solle sich aus diesen Fragen tunlichst heraushalten, der informierte und mündige Bürger könne ja schließlich souverän selbst entscheiden.

Ich als mündiger Bürger bin mir – im Gegensatz zu den neoliberalen und marktgläubigen Predigern – meiner Unzulänglichkeiten bewusst: ich habe nicht Lebensmittelchemie studiert und kenne mich mit den Tausenden von Inhaltsstoffen und deren Kombinationsmöglichkeiten schlicht nicht aus; und ich möchte auch nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, mir die nötigen Kenntnisse anzueignen.

Ich als mündiger Bürger kann es mir nicht leisten und möchte auch nicht persönlich die Umstände verifizieren, unter denen die Waren produziert werden, die auf den Regalen der Geschäfte landen.

Ich als mündiger Bürger habe kein Studium des Rechts und des Handelsrechts absolviert und kann nicht immer einwandfrei beurteilen, ob bestimmte Klauseln in Verträgen (Miet-, Versicherungs-, Handy-, Internetverträge usw.) sich zu meinen Gunsten oder eher zu meinen Ungunsten auswirken.

Eben auch weil Menschenrechte und Menschenwürde nicht Teil der Geschäftsphilosophie vieler Unternehmen sind, behalte ich mir als mündiger Bürger das Recht vor, mit der Wahrung meiner Interessen den Staat oder andere dem Gemeinwohl verpflichtete und demokratisch legitimierte und kontrollierte Institutionen und Gremien meines Vertrauens zu betrauen.

Es soll sichergestellt werden, dass
a) nur solche Produkte in den Handel kommen, die

  • den Kriterien der Menschen- und Arbeitsrechte bezüglich der Herstellungsbedingungen entsprechen;

  • gesundheitlich unbedenklich sind;

  • die Umwelt wirkungsvoll schonen und schützen.

b) Verträge und Vertragstexte so formuliert werden, dass im Zweifelsfall der Verbraucher im Recht ist. Kleingedrucktes soll verboten oder als wirkungslos erklärt werden.

Ich als mündiger Bürger habe ebenso wie jeder Betrieb das Recht, bestimmte Bereiche, vor allem, wenn sie meine individuellen Möglichkeiten überschreiten, „auszulagern“ und damit Spezialisten oder den Staat zu betrauen.

Ich als mündiger Bürger möchte meine wirtschaftlichen Aktivitäten (Einkäufe, Vertragsabschlüsse usw.) so unbeschwert wie möglich tätigen können, ohne ständig damit rechnen zu müssen, über den Tisch gezogen zu werden. Ich möchte auch nicht bei jedem Einkauf aufs Neue vor die Wahl gestellt werden, ob ich nun wirklich das Biohendl will oder das Chlorhuhn, das Bioschnitzl oder das Hormonfleisch, das Billig-T-Shirt aus Bangladesh oder das super-Bio-Baumwollhemd von fairtrade.

Ich als mündiger Bürger möchte nicht bei jedem Einkauf vor die Wahl gestellt werden, ob ich die von mir anerkannten und mit unterzeichneten Menschen- und Arbeitsrechte einhalten will oder ob ich nicht doch „ein bisschen“ mitschuldig werden will, indem ich „nur diesmal“ zu einem Billigprodukt greife.

Daraus ergibt sich folgende Forderung…

bezüglich der in den Geschäften angebotenen Waren:

Alle in den Handel kommenden Produkte müssen – ähnlich wie die Fahrzeuge und andere technische Geräte und Einrichtungen – eine Typenzulassung erhalten, mit der zertifiziert wird, dass das Produkt den Verpflichtungen bezüglich Menschen- und Arbeitsrechten sowie bezüglich der Gesundheits- und Umweltverträglichkeit entspricht. Mit regelmäßigen Überprüfungen muss sichergestellt werden, dass die Produkte in den Regalen der Geschäfte den in der Typenzulassung festgelegten Eigenschaften entsprechen. Für Übertretungen sollen – um dem Vorwurf einer Abzocke vorzubeugen – keine Geldstrafen, sondern ausschließlich Verkaufssperren hin bis zum Entzug der Zulassung verhängt werden. Den Nachweis der Konformität entlang der gesamten Produktionskette müssen die Unternehmen erbringen, und die Zertifizierungsstelle wird diese in regelmäßigen Abständen verifizieren.

Die Maßnahme könnte sich anfänglich auf Importprodukte beschränken, da es für den Bürger gerade bei diesen sehr schwierig und aufwändig bis unmöglich ist, festzustellen, unter welchen Bedingungen und Umständen und mit welchen Rohstoffen diese gefertigt werden. Mit der Zeit sollten diese Regeln aber auf alle gehandelten Produkte ausgeweitet werden.

Dann kann der mündige Bürger („Konsument“) bedenkenlos einkaufen, ohne immer wieder vor der Qual der Wahl zwischen einem „guten“ und einem billigen Produkt zu stehen. Menschenrechte, Arbeitsrechte und Umweltverpflichtungen sind kein „Optional“, sondern eben Verpflichtungen, die bindend eingehalten werden müssen, genau so wie andere Gesetze und Vorschriften.

Durchgeführt werden sollten die Zertifizierungen und Kontrollen von einer EU-Agentur im Auftrag des EU-Parlaments, die direkt dem EU-Parlament rechenschaftspflichtig ist und von diesem auch ein- und abgesetzt werden kann. Es müssen geeignete Vorkehrungen getroffen werden, um diese Agentur immun gegen Lobby- und Interessenbeeinflussung zu machen, damit sie möglichst objektiv und sachlich arbeiten kann.

 

5 Kommentare

  1. Ich höre schon den Aufschrei aller „Verfechter des freien Marktes“: nicht machbar, bürokratisch, unerschwinglich und so weiter. Aber ganz selbstverständlich wird vorausgesetzt, dass der „mündige Bürger“, und zwar jeder einzelne für sich, sich kundig macht, um dann entscheiden zu können.
    Wenn das jeder für sich macht, dann ist der Aufwand um ein Vielfaches höher als wenn das an eine zentrale Agentur delegiert wird, außerdem ist es dem Einzelnen nicht zumutbar. Und schließlich sind die Menschenrechtskonvention und die Arbeitsrechte keine Kann-Bestimmungen sondern verpflichtend und müssen eingehalten werden. Leider sind sie nicht mit Sanktionen bewehrt, und das in der UNO anhängige Verfahren, mit dem Unternehmen in die Pflicht genommen werden sollen, wird gerade auch von einigen reichen EU-Mitgliedern torpediert.

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  2. Zur EU-Agentur zur Zulassung nicht schädigender Produktion und Produkte:
    Leider sind wir bei der wirtschaftsliberalen EU noch nicht gut aufgehoben, denn sowohl die EU-Kommission als auch die Mitgliedsstaaten behindern die Verhandlungen auf UNO-Ebene zu verbindlichen Regeln für Konzerne, damit diese die Menschenrechte umsetzen und Umweltschäden verhindern. Seit 2014 wird vor allem auf Betreiben der südlichen Länder das diesbezügliche „UN-Treaty“ ergebnislos verhandelt. Im Oktober gibt es wieder eine Verhandlungsrunde, für die wir unsere Regierungen drängen müssen konstruktiv mitzuarbeiten, um eine Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen für die Menschenrechte und die Erhaltung der Biosphäre einzuführen. Die Politik für Menschen soll den Profitinteressen der Unternehmen einklagbare Grenzen setzen. http://www.stopcorporateimpunity.org

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  3. Bemerkungen zum Kommentar:
    Ein Schritt den angeführten Problemen entgegenzuwirken wäre das Prinzip von F.Haugg „4in1“: die 4 Tätigkeitsbereiche der Menschen gleichwertig zu machen: Erwerbsarbeit, Haushaltsarbeit (inkl.Care), Selbstverwirklichung (Bildung, Kreativität, Muße..), gesellschaftliches Engagement. Das setzte eine wesentliche Verkürzung der Erwerbsarbeit, also der Normalarbeitszeit voraus. Dieser Weg sollte erkämpft werden, um dem Gutem Leben für alle näher zu kommen.

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  4. Zuerst zum Kommentar: ja, eine gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeit durch Verkürzung der Normalarbeitszeit wäre überfällig. Längerfristig braucht es auch eine Veränderung der Bewertung der Tätigkeiten: Erwerbsarbeit soll mit Haushaltsarbeit (inkl.Care), Persönlichkeitsarbeit (Bildung, Kreativität) und gesellschaftlichem Engagement gleich bedeutend sein (F.Haugg: 4in1) und von allen gleich umgesetzt werden. Dann wäre eine Voraussetzung für gutes Leben für alle geschaffen.

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  5. Unsere Gesellschaft braucht dringend eine Vision. Wir alle brauchen endlich ein umsetzbares Konzept, um die existentiellen Probleme unserer Gesellschaft zu lösen – wie z.B. Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, ausbleibende Familiengründungen und Geburten, unfinanzierbare Sozialsysteme, Staatsverschuldung, etc.

    Keines dieser Probleme ist konjunkturell/vorübergehend. Alle Probleme sind strukturell/dauerhaft. Also müssen wir die Strukturen ändern, statt wie bisher nur Daumen zu drücken und zu hoffen, daß alles aus unerfindlichen Gründen besser wird.

    Greifen wir das größte Problem heraus: Den Arbeitsmarkt. Lebensqualität, Kaufkraft, Familiengründungen, Geburtenrate, Sozialsysteme, Staat, Gesellschaft, Perspektiven für unsere Kinder – der Arbeitsmarkt ist DAS existentielle Problem schlechthin.

    Das Economic Balance System von economy4mankind ist das einzige Konzept, das die Ursachen der Probleme beseitigen kann.

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