14.10.2020 – Rezension von Peter Fleißner zum Buch von Emmerich Tálos und Herbert Obinger: Sozialstaat Österreich (1945-2020). Entwicklung – Maßnahmen – internationale Verortung.
Mit ihrem neuesten Buch haben die Autoren eine leicht lesbare und informative Geschichte des österreichischen Wohlfahrtsstaates publiziert, die 75 Jahre umspannt.
Im Gegensatz zum »goldenen Zeitalter des Sozialstaates« in den ersten Nachkriegsjahrzehnten deuteten sich seit Mitte der 1980er Jahre erste, noch moderate Veränderungen an, die nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder und der neoliberalen Globalisierung auch Österreich betrafen. Dazu kamen demografische Veränderungen, Migration sowie technische und gesellschaftliche Modernisierungsprozesse. Durch die Corona-Pandemie traten die Schwächen des Sozialstaates deutlich zutage. Besonders schwer wogen die Neuregelungen für die staatlich geregelten Pensionen von Schwarz-Blau 2003/2004. Sie lassen erwarten, dass die Pensionen »nicht mehr für alle reichen« werden. Restriktive Tendenzen lassen sich auch bei der Arbeitslosenversicherung und im Gesundheitswesen nachweisen. Die Regierung hat die private Vorsorge gepuscht. M. E. war sie jedoch ein Misserfolg. Trotz anfänglicher euphorischer Erwartung über die Höhe der Renditen mussten die Privatversicherungen letztlich um staatliche Hilfe ansuchen. Derzeit halten sich die Neuabschlüsse in Grenzen.
Wie schon beim Abfassen des Buches »Schwarz-Blaue Wende in Österreich«, das Talos im Vorjahr publizierte, erzwangen die historischen Ereignisse auch heuer eine Änderung des Inhalts. Hatte 2019 das Ibiza-Video die Innenpolitik erschüttert und eine Umarbeitung des Buches notwendig gemacht, nötigte diesmal die Covid-19 Pandemie die Autoren zu einem weiteren Kapitel, das zu den Perspektiven des Sozialstaats nach Corona Stellung nimmt. Die Pandemie bedeutete »einen enormen Stresstest für den österreichischen Sozialstaat, den dieser zumindest kurzfristig vergleichsweise gut bestanden hat“. Eine »sehr gut ausgebaute Spitalsinfrastruktur mit einer […] sehr hohen Zahl an Intensivbetten […] zusammen mit einem früh implementierten ‚Lock-down‘ hat die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems gebannt und dafür gesorgt, dass die Opferzahlen […] vergleichsweise niedrig blieben. Instrumente wie die Kurzarbeit und die Kurzarbeitshilfe trugen dazu bei, dass der auch in Österreich sprunghafte Anstieg der Arbeitslosigkeit geringer blieb als in anderen Ländern.« Die Autoren weisen darauf hin, dass diese Instrumente zur Zeit der Spanischen Grippe und der Weltwirtschaftskrise 1929 noch nicht existierten.
Für die nähere Zukunft hängen die zusätzlichen Finanzierungslasten, die durch die Doppelkrise entstanden, wie ein Damoklesschwert über dem Sozialstaat. Und weitere Herausforderungen harren einer Lösung: das Gesundheitswesen (mit dem – eigentlich positiven – Anstieg der Lebenserwartung und den Erfordernisse der Langzeitpflege), die Migration (ein politischer und sozialer Dauerbrenner) und die Eindämmung des Klimawandels.
Wir müssen den nötigen politischen Druck von Links aufbauen, damit der Sozialstaat nicht unterminiert, sondern ausgeweitet wird.
Emmerich Tálos und Herbert Obinger: Sozialstaat Österreich (1945-2020). Entwicklung – Maßnahmen – internationale Verortung. Innsbruck – Wien: StudienVerlag 2020. 192 Seiten, 24,90 Euro