Frauenbewegung Wien um 1980

Kleiner Rückblick anlässlich des 2. Frauen-Volksbegehrens 2017

von Maria Prinz-Hofstätter (Zukunftmitverantworten.org - SeniorInnenAttac) 18.06.2017

Es gab um 1980 viele verschiedene Frauengruppen, hauptsächlich in Wien, auch eine Zeitung, die AUF, ein Frauencafé etc..
Es waren ganz andere Zeiten als heute mit Computern, jeder Menge Information, Schnell- und Massen-Verbreitung jeglicher Inhalte. Für uns war diese Bewusstwerdung vollkommen neu.
Wir lasen Alice Schwarzer, ‚Der kleine Unterschied und seine großen Folgen‘, den Hite-Report, Virginia Woolf, ‚Ein Zimmer für sich allein‘ usw..
Es gab eine Aktivierung unserer Frauenpower mit Ausschluss der Männer und Diskussionen darüber.
Es entstanden auch gemischte Selbstverwaltungskollektive, die ‚Autonomen‘, die ‚Alternativen‘, politische Bezüge zu Marxisten, Trotzkisten und viel Diskussion, mitunter Streit.
Wir Frauen versuchten, subjektive Lebenserfahrung – ‚Privates = Politisch‘ – in der Gemeinschaft für uns nutzbar zu machen.
Es gab z.B. eine gynäkologische Selbstuntersuchungsgruppe, eine Gruppe von unzufriedenen weiblichen Spitalsangestellten, die ‚Kranken Schwestern‘, ‚Frauen gegen Gewalt gegen Frauen‘ usw.
Die einzelnen Forderungen waren teils recht kreativ, nicht alles war aus heutiger Sicht sinnvoll.
Ein großer Teil ist meines Erachtens bis heute realisiert worden.

Besonders bemerkenswert erscheint mir heute die damalige Forderung, Lohnerhöhungen nur mehr als Fixbeträge – für alle Lohnstufen gleich – durchzuführen, um die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinander gehen zu lassen.

Woran wir damals gar nicht dachten, war unsere spätere Pension.
Frauen/Mütter wenden ja nach wie vor wesentlich mehr Zeit für Familie und Kinder auf als Männer. Nicht alles wird durch die Anrechnung von Ersatzzeiten pensionswirksam.
Die Auswirkungen der atypischen Beschäftigungsverhältnisse auf das erreichbare Pensionsniveau (Teilzeit, unterbrochene Berufslaufbahn…) werden unterschätzt und können Pensionistinnen schwer treffen. Siehe derzeitiges Frauen-Volksbegehren: http://frauenvolksbegehren.at.
Für diese beiden Bereiche – Frauenpension und Umverteilung mittels Fixbetrags-Lohnerhöhungen – würde ich mich heute am ehesten engagieren.

Wenn ich sage, Vieles haben wir aus meiner Sicht heute erreicht, meine ich z.B. auch die Diskussion über Frauenquoten.
Damals, vor fast 40 Jahren, haben wir die Quotenregelung praktisch erfunden und ebenso die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Diese war jahrelang Streitthema und ist heute genauso aktuell, wenn auch mit der bedarfsorientierten Mindestsicherung ein gewisser Grundstandard erreicht wurde, der m. E. doch einen wesentlichen Fortschritt darstellt.

Es war auch die Entstehungszeit der späteren Grünen Partei, hervorgegangen aus kommunalpolitischen Initiativen und Alternativen Listen (Wien, Steiermark, Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg…).

Zur Verdeutlichung möchte ich im Folgenden die Frauenforderungen der Alternativen Liste Wien (1980) wiedergeben. Ich habe kleine Veränderungen/Verdeutlichungen vorgenommen und mir erlaubt, die Punkte, die aus meiner Sicht erreicht wurden, mit einem Häkchen ✔ zu versehen.
Viel Vergnügen!

Hier das Original-Dokument zum Herunterladen:

Forderungen Frauen ALW

Forderungen der Frauen der Alternativen Liste Wien

Frau und Lohnarbeit

✔ Keine Trennung in Frauen- und MännerberufeNeutrale Stellenausschreibungen

  • 50% Quoten-Aufnahme von Frauen – bei gleicher Qualifikation – in allen Bereichen und Positionen von Wirtschaft, Politik und Kultur
  • Sanktionen (Steuern, Entzug v. Subventionen) gegen Betriebe, die geschlechtsspezifische Branchen und Positionen weiterhin einseitig mit Männern/Frauen besetzen. Öffentlicher Dienst und verstaatlichte Industrie sollten hier beispielgebend sein.
  • Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit• Neubewertung von Arbeitserschwernissen, Überdenken der Wertigkeiten, nach denen Frauen und Männer bezahlt werdenOK Kritische Neuformulierung der ‚Arbeitsschutz’-Bestimmungen (Verbot v. Nachtarbeit f. Frauen)
  • Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, auch Jobsharing (bezahlte Arbeit für möglichst viele)

✔ Qualifizierte Aus- und Weiterbildungs-Möglichkeiten, kostenlos

✔Umschulungen – bevorzugt für Frauen

  • Nur mehr Fixbeträge bei Lohnerhöhungen, um die Schere zwischen niedrigen und hohen Löhnen nicht weiter zu vergrößern

✔ Fixbetrag als Sonder-Notstandshilfe für alle Kinder-Betreuenden und Gewährleistung des Versicherungsschutzes

  • Verpflichtung für den Mann, Karenzzeit genau so lange in Anspruch zu nehmen wie die Frau (möglichst 1 ½ Jahre)
  • Kündigungsschutz für beide Elternteile, wenn sie gleich lang Karenzzeit nehmen
  • Für Frauen /Männer vermehrt die Möglichkeit, Kinder an den Arbeitsplatz mitzunehmen

Frau und unbezahlte Arbeit

✔ Existenzminimum-Garantie für alle

✔ Die soziale und rechtliche Gleichstellung aller Formen des Zusammenlebens (alleinstehende Mütter und Väter, hetero- und homosexuelle Lebensgemeinschaften ) – insbesondere bei Krediten und Steuern

✔ Finanzielle und soziale Aufwertung Alleinerziehender. Sofort: Alleinverdiener-Freibetrag und Familienbeihilfe müssen der Kinder betreuenden Person automatisch zufließen und nicht dem/r ArbeitnehmerIn

✔ Karenzgeld für alle Kinder-Betreuenden (auch Studentinnen, Künstlerinnen, „Arbeitslose“…)

✔  Ausbau der öffentlichen „Reproduktion“: Kindergärten / Horte, auch in Selbstverwaltung

Erziehung und Ausbildung

✔ Bildung und Ausbildung für Frauen und Männer kostenlos

  • Auflösung der Rollenklischees in Schule und Medien, in der gesamten Kultur

✔ Spezielle Ausbildungsbestrebungen für ‚ungelernte‘ Frauen und Männer

  • Verstärkte Aufnahme von Frauen in Männerberufe und umgekehrt

✔ Abschaffung frauenfeindlicher Unterrichtsmaterialien

  • Erziehung zu einer freien, frauenfreundlichen Sexualität

Frau und Kultur

✔ Förderung von Kulturarbeit von Frauen für Frauen

  • Subventionen und Förderpreise zu 50% an Frauen

✔ Keine Restriktionen und Verbote feministischen Kulturschaffens (auch sexuellen Inhalts, lesbischer Darstellungen…)

  • Fonds zur finanziellen Förderung von Frauenprojekten
  • 50% Quoten für Frauen in allen Gremien und den Medien (u.a. ORF)

✔ Aufklärung über Faschismus (und dessen Einstellung und Behandlung der Frauen) im  Unterricht

  • Verbot sexistischer Werbung

✔ Sendezeit für feministische Kultur zu Zeiten hoher Einschaltquoten

Gewalt gegen Frauen

✔ Genügend Frauenhäuser für bedrohte oder geschlagene Frauen und Kinder, öffentlich finanziert und selbstverwaltet

✔ Neuformulierung der §§ 201, 202, 205 im Sinne   einer Erweiterung des Vergewaltigungsbegriffes auf  jede Form der sexuellen Gewalt,  einschließlich der gegen die Ehefrau

  • Öffentlichkeit von Vergewaltigungsprozessen bei Einverständnis des Opfers

✔ Keine Fragen nach dem Vorleben und der Sexualität der vergewaltigten Frau

  • Ausschließliche Vernehmung durch weibliche Kriminalbeamte

✔ Anspruch auf kostenlose therapeutische Nachbetreuung im Sinne des Opfer-Entschädigungsgesetzes

 

Frau und Gesundheitswesen

a) Verhütung:

  • Entwicklung und kostenlose Vergabe unschädlicher Verhütungsmittel (außer Hormonpräparaten) rezeptfrei

✔ Keine Behinderung von Sterilisierungswunsch bei Frauen und Männern

✔ Keine Sterilisierung ohne Wissen der Frau

✔ Bildungsarbeit zur Verlagerung der Verantwortung auch auf den Mann

b) Abtreibung:

  • Völlige Straffreiheit der Abtreibung, Recht auf Selbstbestimmung ins Grundrecht

✔ Aufklärung über die verschiedenen Methoden

  • Schwangerschaftsabbruch in allen Kliniken nach freier Wahl der Methode
  • in jedem Spital muss Personal angestellt werden, das zur Durchführung bereit ist

✔ Vorgesetzte dürfen Ärzte und Ärztinnen nicht von der Durchführung abhalten

  • Abschaffung der Zwangsberatung der Frau

✔ Möglichkeit zur kostenlosen psychischen und physischen Nachbetreuung

✔ Verstärkte Forschung zu nicht operativen Möglichkeiten

c) Frauen-Gesundheitszentren:

✔ Schaffung autonomer, feministischer Gesundheits- und Beratungszentren

  • Förderung von Selbsthilfe- und Selbstuntersuchungs-Gruppen
  • Mobile medizinische Beratungs- und Untersuchungs-Einheiten zu Verhütung, Schwangerschaft und Abtreibung für Frauen auf dem Land („Hebamme auf Rädern“)
  • Unbedingte Bevorzugung von Frauen bei Ausbildung und Ausübung (Kassenverträge) der Gynäkologie

d) Geburt:

✔ Möglichkeit der Frau, auch Freundinnen, Freunde, Kinder (beliebige Anzahl von Personen) teilnehmen zu lassen

✔ Spitäler mit Bereitschaft und Einrichtungen zur sanften Geburt

✔ Wesentlich erweiterte Möglichkeiten zu selbstbestimmter Geburt und Hausgeburt

  • Förderung frei praktizierender Hebammen

✔ Verbesserten Zugang zur Hebammen-Konzession

✔ Aufhebung von deren Weisungsgebundenheit an den Arzt, die Ärztin

e) Frauen in der Psychiatrie:

  • Unterstützung von selbstbestimmten Therapie- und Beratungs-Initiativen und Selbsterfahrungs-Gruppen

Allgemein:

✔ Kostenlose medizinische Betreuung für alle

Frau und Sexualität

✔ Gesellschaftliche u. rechtliche Anerkennung aller selbstbestimmten Formen der SexualitätOK Enttabuisierung der Sexualität und ihre Anerkennung in allen Phasen und Bereichen des Lebens (Kindersexualität, Sexualität im Alter…)

  • Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper als Grundrecht

✔ Information über weibliche Sexualität, kein Verschweigen der Klitorislust

  • Lustbetonte, frauenfreundliche (Frauen als Agierende) Darstellung von Sexualität in Schul-   und Aufklärungsbüchern

✔ Abschaffung der diskriminierenden Strafrechtsbestimmungen für lesbische Frauen (§§ 209, 210, 220, 221)

✔ Keine Diskriminierung lesbischer Mütter, wenn sie nach der Scheidung das Sorgerecht für die Kinder behalten wollen

✔ Alle ledigen Mütter sollen automatisch sofort die Vormundschaft über ihre Kinder erhalten

✔ Grundsätzliches Adoptionsrecht (auch allein lebender) hetero- und homosexueller Frauen

✔ Gleichberechtigte Darstellung der Homosexualität   in Schulen und Medien

  • Gegen jede Diskriminierung von Lesben und Schwulen am Arbeitsplatz und in allen gesellschaftlichen Bereichen

Frau und Prostitution

  • Gegen die Diskriminierung von Frauen, die als Prostituierte arbeiten in rechtlicher und sozialer Hinsicht, z.B. Karenzgeld betreffend
  • Registrierung nur in Hinblick auf medizinische Betreuung

✔ Recht auf repressionsfreies Leben und Sorgerecht für ihre Kinder wie bei jeder anderen Frau

Antidiskriminierungsgesetz

✔ Wir fordern ein Antidiskriminierungsgesetz, das alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst und das die Beweislast auf Seite der Diskriminierenden vorsieht

✔ Darin ist auch die Schaffung und Finanzierung einer Körperschaft zu verankern, die seine Durchführung gewährleistet und kontrolliert, sowie sanktioniert.

Screenshot_20170618-235348

Alternative Liste Wien

Impressum: Alternative Liste Wien, 1050 Wien, Margaretengürtel 120-122

3 Kommentare

  1. Ja klar, richtig, richtig, aber bei meinem Beitrag handelt es sich um eine Zusammenstellung von Forderungen um etwa 1980! Klar kam danach und anderswo noch jede Menge!

    Like

  2. Sicher ist einiges erreicht worden, aber einige der abgehakten verstehe ich nicht. außerdem gibt es einen umfangreicheren Forderungskatalog wie das feministische Regierungsprogramm http://zwanzigtausendfrauen.at/wp-content/uploads/2011/01/2002_Feministisches_Regierungsprogramm.pdf
    oder auch die vielen Forderungen, die 2011 anlässlich 100 jahre Frauentag gesammelt wurden, ganz abgesehen von unserer Vision http://zwanzigtausendfrauen.at/2011/01/unsere-vision/
    nur keine Bescheidenheit – unsere rechte wollen wir!

    Like

  3. Das ist eine eindrucksvolle Liste vor allem für die Frauen, die nach 1965 geboren sind und von den früheren Verhältnissen keine Ahnung mehr haben. Außerdem wurden noch weitere Punkte ganz gut erfüllt: Kündigungsschutz für Karenzzeit beider Elternteile; Kinder mit an den Arbeitsplatz zu nehmen, bzw. Betriebskindergärten; Frauen in traditionellen Männerberufen (ich wurde 1977 die erste technische Fachkraft bei einer Fluglinie); geförderte Frauenprojekte gibt es auch viele; Gynäkologinnen gibt es auch schon viele. Es ist viel geschehen, aber die Lohndifferenz ist noch immer zu hoch und 50% der Frauen arbeiten in atypischen Anstellungsverhältnissen. Die „typischen“ Normalarbeitszeiten gehören signifikant reduziert!

    Like

Kommentar hinterlassen