Peter Weish, Univ.Doz.Dr. (30. Internat. Sommergespräche, 30.08.2014,Weitra/NÖ) http://homepage.univie.ac.at/peter.weish/index.htm
Die Umweltkrise und ihre Symptome:
Vor wenig mehr als 10 Jahrtausenden, vor der agrarischen Revolution, als die Menschen weltweit noch als Jäger und Sammler lebten, betrug ihre Zahl rund ein Promille der heutigen Weltbevölkerung. Der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht vollzog sich auf Kosten von Naturlandschaften, insbesondere der Wälder, die in Kulturland umgewandelt wurden. Der Einfluss der Zivilisation auf die Natur verlief zunächst langsam und war lokal beschränkt. Das Naturpotential der Biosphäre erschien übermächtig im Vergleich zur Anthroposphäre, des Lebensbereichs der Menschen. Der Ökonom Herman Daly spricht vom „Wirtschaften in einer leeren Welt“: Die Welt war „leer“ an menschengemachten Strukturen. Wer mehr Fische fangen wollte, musste bloß mehr oder größere Netze auswerfen.
Als Folge des Wachstums der Bevölkerung und der zivilisatorischen Einrichtungen, verbunden mit Ressourcenverschleiß und immer größerem Energieumsatz, schrumpfte das Naturpotential immer rascher. Plötzlich – wegen der exponentiellen Dynamik dieser Wachstums- und Schrumpfungsprozesse – befinden wir uns in einer Welt die „voll“ ist von Zivilisation und „leer“ an Natur. Diese ökologisch folgenschwere Entwicklung lässt sich deutlich an einem Vergleich der Biomassen zeigen (Smil 2002): Die Biomasse der Menschen beträgt rund 40 Megatonnen (Mt) Kohlenstoff, die seiner Haus- und Nutztiere 100-120 Mt, während die Biomasse aller wildlebenden Landwirbeltiere bereits weniger als 5 Mt Kohlenstoff ausmacht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Aktivitäten des Menschen in der Ökosphäre immer auffälligere globale Konsequenzen zeitigen:
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Das Artensterben – die Abnahme der biologischen Vielfalt – hat ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht.
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Die Verschleiß- und Wegwerfwirtschaft führt zur Verknappung wichtiger Rohstoffe.
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Luft, Wasser und Böden werden mit toxischen Substanzen belastet. Die nicht nachhaltige Bodenbewirtschaftung führt zu Versteppung und Wüstenbildung.
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Die Selbstreinigungsprozesse in der Biosphäre werden überfordert. Es kommt zu Ozonabbau in der Stratosphäre.
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Der anthropogene Treibhauseffekt wird verstärkt und es zeigen sich bereits Symptome eines Klimawandels.
Die Problematik der „Übervölkerung“ lässt sich am besten folgendermaßen kennzeichnen:
Es gibt zu viele Menschen mit zu hohen Ansprüchen. Damit sind wir als Bewohner der „ersten Welt“ klar als Hauptbeteiligte an diesem Problem zu sehen. Der ökologische Fußabdruck (die Fläche ökoproduktiven Landes, die wir pro Kopf beanspruchen), beträgt für Bewohner reicher Länder weit mehr als die Fläche, die pro Erdenbürger durchschnittlich verfügbar ist. Dementsprechend mager ist die Lebensbasis der Armen. Während der Hauptanteil an der Zerstörung der Lebensgrundlagen von den hohen Ansprüchen der Menschen in den reichsten Ländern verursacht wird, sind die Ärmsten in vielen Gegenden um des nackten Überlebens willen gezwungen, ihren Lebensraum zu übernutzen, wie z.B. durch Überweidung. Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt dramatisch zu, und damit entsteht ein besorgniserregendes Konfliktpotential. Das Profitdenken dringt in alle Lebensbereiche ein und gewinnt Vorrang gegenüber allen übrigen Werten. Egoismus und kurzfristiges Gewinnstreben wird zum Erfolgsprinzip. Verteilungskämpfe um knapper werdende Ressourcen (z.B. Wasser, Erdöl) verschärfen sich. Menschheitsbedrohende Waffensysteme werden weiterentwickelt.
Lösungsansätze
Vor allem in zwei Bereichen, der Energieversorgung und der Landwirtschaft, gibt es seit geraumer Zeit umwelt- und sozialverträgliche, zukunftsfähige Strategien, die sich in der Praxis vielfach bewährt haben. Lange, bevor die Klimafrage im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand, wurde die Notwendigkeit einer „Energiewende“ klar erkannt. Besonders im Streit um die Atomkraft verbreitete sich der Grundkonsens, dass der leider heute noch beschrittene „harte Weg“ nicht zukunftsfähig ist. Diese „harte“ Strategie der Energieversorgung ist „aufbringungsorientiert“. Das bedeutet eine ständige Ausweitung des Energieangebotes bei Zunahme der Energiedienstleistungen und wachsendem Energie- und Materialumsatz. Die Folgen davon sind Umweltschäden, Abfallprobleme sowie Verknappung und Verteuerung der erschöpflichen Rohstoffe wie Öl, Kohle, Erdgas, aber auch Uran. Die Energieversorgung wird immer teurer und krisenanfälliger. Die Konkurrenz um Ressourcen wird zunehmend mit militärischer Gewalt ausgetragen.
Der „Harte Weg“ hat keine Zukunft. Der „sanfte Weg“, die zukunftsfähige Alternative, setzt hingegen auf der Seite der Verbraucher an. Energiedienstleistungen werden kritisch hinterfragt und auf ein sinnvolles Maß reduziert. Daraus und in Verbindung mit verbesserter Effizienz der Energienutzung ergibt sich eine deutliche Verminderung des Energiebedarfs. Als beste „Energiequelle“ wird die Einsparung gesehen. Auf diese Weise sinken die Kosten der Energiedienstleistungen der Verbraucher. Damit ist der sanfte Weg umwelt- und sozialverträglich. Die Abhängigkeit von erschöpflichen Ressourcen wird verringert und die Versorgung konsequent auf erneuerbare Energieformen umgestellt. Im Gegensatz zum harten Weg ist die sanfte Energiestrategie auch ethisch vertretbar, weil sie auf die Lebensgrundlagen künftig lebender Menschen Rücksicht nimmt. Eine Energiewende vom harten zum sanften Weg ist aber auch eine notwendige Strategie gegen den Klimawandel.
Auch eine „Agrarwende“ von der industriellen zur ökologischen Landwirtschaft ist aus mehreren Gründen notwendig: Die industrielle Landwirtschaft beruht auf einem technokratischen Konzept, auf linearem Denken, das längerfristig in der komplexen Ökosphäre scheitert. Industrielle Landwirtschaft – insbesondere in Form der sogenannten „grünen“ Revolution – zerstört biologische und kulturelle Vielfalt, vom Bodenleben über Sortenvielfalt bis zu traditionellen agrarischen Systemen. Sie entwurzelt agrarische Gesellschaften und vernichtet Jahrtausende altes, bewährtes agrikulturelles Wissen. Sie ist extrem abhängig von Erdöl (für 1 Joule Nahrungsmittel werden 10 und mehr Joule Erdöl aufgewendet) das bald nicht mehr billig verfügbar sein wird. Industrielle Landwirtschaft ist weder umwelt- noch sozialverträglich.
Die Apologeten der „grünen“ Gentechnik geben vor, mit GVO (gentechnisch veränderten Organismen) könne man den Hunger in der Welt besiegen. Bei kritischer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass die Gentechnik – die ja innerhalb der insgesamt nicht zukunftsfähigen industriellen Landwirtschaft angesiedelt ist – lediglich mit Symptomkuren deren Folgeprobleme zu behandeln sucht; nebenbei bemerkt, mit verheerenden weiteren Folgeschäden. Die globale Lebensmittelversorgung läuft Gefahr, unter die totale Kontrolle einiger Konzerne zu geraten – eine bedrückende Perspektive, die es zu verhindern gilt.
Bereits in den 1930er Jahren haben Pioniere der „ökologischen“ Landwirtschaft Wirtschaftsformen entwickelt, die von vorne herein die Fehler der industriellen Landwirtschaft vermeiden. Sie arbeiten „mit der Natur“, sie gehen davon aus, dass gesunde Pflanzen nur auf einem gesunden Boden gedeihen können. Ökologischer Land- und Gartenbau hat bewiesen, dass es ohne Agrochemie geht, was verständlicherweise nicht im Interesse der Konzerne des Agrobusiness liegt. Ökologische Landwirtschaft, insbesondere in Form der innovativen Permakultur, bewahrt und verfeinert agrarische Strukturen. Sie erfordert weniger Energieeinsatz, verbessert die Bodenfruchtbarkeit und erweist sich als umwelt- und sozialverträglich. Allein solche Kulturformen in Verbindung mit hoher Biodiversität sind eine verlässliche Nahrungsbasis für die Zukunft.
Die oft vorgebrachte Ansicht, Gentechnik wäre auch für die biologische Landwirtschaft vorteilhaft, zeigt ein totales Unverständnis. Gentechnik hat in der ökologischen Landwirtschaft keinen Platz, die vom Ansatz her „vernetztes“, ökologisches Denken praktiziert, mit der Natur arbeitet und die Fehler der industriellen Landwirtschaft von vornherein vermeidet. Ein wesentlicher Lösungsansatz mit zahlreichen positiven Nebeneffekten ist die Wiederbewaldung, die erfolgreich in vielen Regionen praktiziert wird. Sie bremst die Dynamik des Artenschwundes, verbessert den Wasserhaushalt, stellt einen wichtigen Beitrag zur CO2-Bindung dar (Klimaschutz) und sichert die Lebensbasis der lokalen Bevölkerung (Weish 2009).
„Peak Oil“
Das Ende der Ära billigen Erdöls ist mittlerweile absehbar geworden. Wir befinden uns derzeit im Bereich des weltweit möglichen Fördermaximums. Bei weiter steigender Nachfrage – was infolge der Industrialisierung etwa Indiens und Chinas der Fall sein wird – werden die Energiepreise (und damit die meisten Rohstoffpreise) drastisch ansteigen. Das Erdölzeitalter ist nicht erst zu Ende, wenn es kein Erdöl mehr gibt, sondern wenn es nicht mehr billig in jeder Menge verfügbar ist. Der unausweichliche Systembruch wird mit Sicherheit all jene Strukturen hart treffen, die einen hohen Energie- und Rohstoffbedarf aufweisen, z.B. die Automobilbranche und die industrielle Landwirtschaft. Zusammenbrüche mit Dominoeffekt sind zu erwarten. Es liegt daher heute im existenziellen Eigeninteresse der Wirtschaft, den Umsatz an fossilen Energieträgern und Materialien (die mit der Verteuerung des Erdöls ebenfalls kostspieliger werden) drastisch zu reduzieren, um einen unverzüglichen und damit möglichst friktionsarmen Übergang ins „Solarzeitalter“ zustande zu bringen.
Eine „Gesamtalternative“
Notwendig ist die Umkehr der katastrophenträchtigen Trends:
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Vom Bevölkerungswachstum zur Stabilisierung; Absenkung der extremen Bevölkerungsdichte in Megastädten.
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Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks in den reichen Ländern, um den Armen einen Entwicklungsspielraum zu ermöglichen.
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Abkehr von Risikotechnik (Atomkraft, Gentechnik, Chlorchemie u.v.a.); sanfte statt „harter“ Technik
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Technik und Wirtschaft „nach Menschenmaß“ im Sinne von E. F. Schumacher.
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Wiederbewaldung als aussichtsreiche Strategie mit vielen positiven Nebeneffekten.
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Grundlegende Reform der heutigen Geldordnung, die eine kleine Minderheit zum Schaden der Mehrheit begünstigt; Geld im Dienste der Menschheit.
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Lokale Parallelwährungen, wie z.B. arbeitszeitbasierende Tauschkreise.
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Lokale Energie- und Ernährungssouveränität; Dezentralisierung (z.B. solare Energiesysteme)
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Bewahrung bzw. Wiederherstellung lokaler, überlebensfähiger Gesellschaftsstrukturen als Keimzellen der Nachhaltigkeit (z.B.Ökodörfer, Friedensdörfer, in denen ein gewaltfreies Zusammenleben des Menschen mit allen Mitgeschöpfen exemplarisch entwickelt wird).
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„Materialwende“: von der Verschleiß- und Wegwerfwirtschaft zu einer naturverträglichen Kreislaufwirtschaft.
Rahmenbedingungen zukunftsfähiger Entwicklungen:
Es muss „Kostenwahrheit“ (im Sinne des Verursacherprinzips) verwirklicht werden, um die „Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung der Verluste“ zu vermeiden und richtige Preissignale zu setzen. Der Substanzverzehr an natürlichen Ressourcen, an Gesundheit und an humanen Lebensbedingungen im Produktions- und Dienstleistungssystem muss in Rechnung gestellt werden, um ihn zu verhindern. Die örtliche (global) und zeitliche (über Generationen) Verlagerung von Belastungen sind dabei einzubeziehen. Die externalisierten Kosten unseres Wirtschaftssystems werden vor allem den künftigen Generationen weltweit zur Last fallen, insbesondere die Folgekosten des derzeitigen ökologischen Fußabdruckes.
Überwindung der Hemmnisse
Hinter all den krisenhaften Entwicklungen sind massive Gruppeninteressen zu erkennen, der Einfluss „struktureller Macht“ (z.B. des militärisch-industriellen Komplexes oder des Agrobusiness und des Finanzkapitals). Zukunftsfähige Alternativen sind mit einem Dilemma konfrontiert: Individuelle Verantwortung sieht sich machtvoller „organisierter Verantwortungslosigkeit“ gegenüber. Der Ausweg kann nur darin bestehen, Verantwortung zu organisieren.
Aus der Einsicht, dass das Ziel einer lebensfreundlichen Gesellschaft nur gemeinsam verwirklicht werden kann, finden immer mehr umwelt- und gesellschaftspolitisch aktive Personen und Organisationen zusammen, um die Voraussetzungen für einen zukunftsfähigen Systemwandel zu schaffen. Im Rahmen zivilgesellschaftlicher Initiativen (Zukunftsforum Systemwandel), werden unter anderem Konzepte zur Stärkung der direkten Demokratie, alternative Wirtschaftsformen, so auch Regionalwährungen, vorgestellt und gemeinsam weiter entwickelt.
Die Finanzkrise hat viele Menschen zur Einsicht gebracht, dass Alternativdenker, die man lange belächelt hat, doch Wichtiges zu sagen haben. Daher ist weltweit eine erfreulich hohe Zahl vernünftiger Konzepte in Diskussion und die Chancen, dass davon der erforderliche Druck auf die Politik organisiert werden kann, stehen besser als je zuvor. Die gemeinsame Arbeit an einer humanen, generationengerechten Zukunft schafft aber auch den Optimismus, der für ausdauerndes, konsequentes Handeln notwendig ist.
Literatur
Aubauer, H. P. (2005): Zügelung des Kapitalismus <http://homepage.univie.ac.at/hans.peter.aubauer/UntitledFrame-5.htm>
BULT MANN, A. & SCHMITHALS, F. (Hrsg.) 1994: Käufliche Wissenschaft. Experten im Dienst von Industrie und Politik. Knaur, München.
Chomsky, N. (2001): Wirtschaft und Gewalt. Vom Kolonialismus zur neuen Weltordnung. zu Klampen, Lüneburg.
Jonas, H. (1979): Das Prinzip Verantwortung. Insel Verlag, Frankfurt/M., S.
Smil, V. (2002) The earth´s biosphere. MIT Press
Weish, P. (2010): Wiederbewaldung statt Kohlenstoff-Sequestrierung. <http://homepage.univie.ac.at/peter.weish/schriften/%2Bwiederbewaldung%20vs.%20Sequestrierung-2.pdf>
Schumacher, E. F. (1974): Es geht auch anders. Jenseits des Wachstums. Technik und Wirtschaft nach Menschenmaß. Desch Verl. München.