War das eine Steuerreform?

  Norbert Geldner (Zukunft mitverantworten) 23.03.2015

Die Beantwortung dieser Frage unterstellt natürlich, dass man weiß, was eine „richtige“ Steuerreform wäre. Aber darüber gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Man muss die Frage splitten: Was wäre eine sachdienliche Steuerreform gewesen, sachdienlich im Interesse einer Konjunkturbelebung, im Interesse der Beseitigung falscher Signale und der Einrichtung notwendiger, im Interesse der Beseitigung sozialer Missstände oder der Neuausrichtung gesellschaftlicher Zielsetzungen. Die andere Frage ist, war es das, was die Leute erwarteten?
Gemessen an den Wahlversprechen sind die Sozialisten gerade noch davongekommen, um ein Froschhaar, wie man gelegentlich in Wien sagt. Es ist ihnen gerade noch erspart geblieben, die totale Unfähigkeit zur Durchsetzung ihrer Position eingestehen zu müssen. Umgekehrt kann die ÖVP einen fast vollständigen Erfolg behaupten, aber sie haben doch zugelassen, dass die Gegenseite ihr Gesicht wahren konnte. Allerdings ist diese Feststellung noch nicht endgültig.
Betroffen macht die öffentliche Diskussion rund um die Steuerreform. Das Buhlen um Wählergunst ging weit über Selbstverleugnung hinaus. Man hat zugelassen, dass das neoklassische Bild vom Staat völlig unwidersprochen blieb, die Tarifkorrektur fast ausschließlicher Zweck der „Reform“ war und Steuerleistung in die Nähe einer Enteignung gerückt wurde. Aus der wohligen Wärme sozialer Geborgenheit maulte der Stammtisch oder was ihm bei öffentlichen Veranstaltungen entsprach, man möge auf Gegenfinanzierung verzichten, da der Staat ja ohnehin viele unsinnige Ausgaben tätige, etwa Autobahnbrücken baue, die dann einstürzten. Nur wenig sachlicher waren Hinweise auf die „kalte Progression“ .
Auch von akademisch gebildeten „Experten“ wurde die Auffassung zumindest zugelassen, dass eine Steuerreform ja eigentlich nur die Rückerstattung einer Steuerleistung wäre, die durch die Anwendung des Grenzsteuersatzes auf Einkommenszuwächse entsteht. Eigenartigerweise wird der progressive Charakter der Einkommensteuer zwar nicht nur akzeptiert, sondern sogar verlangt, im Falle der persönlichen Betroffenheit aber als ungerechtfertigt betrachtet. Auch der Einwand, dass ein Teil des Einkommenszuwachses bloß eine Abgeltung der Preissteigerungen sei, geht ins Leere.
Man male sich das Gesicht des Filialleiters meines Nahversorgers aus, wenn ich verlangen würde, meinen Einkauf zu Preisen von 2005 zu verrechnen! Was würde er wohl sagen? „Was für ein Schwachsinn!“ Steuern sind Entgelte für öffentliche Leistungen. Und auch die Preise für öffentliche Leistungen müssen steigen, wenn Löhne steigen und Vorleistungen teurer werden. Sie müssen aufgrund ihrer Struktur sogar etwas rascher steigen – die Lohnkomponente ist relativ hoch. Die Abrechnung mit dem Staatsbürger muss auf nomineller Ebene erfolgen, und die Abflachung der Tarifstufen hat die Progression ohnehin entschärft.
Österreich steht vor einer Reihe ganz großer und ebenso dringender Reformvorhaben, Gesundheitswesen, Altenpflege, Bildung, Föderalismus, Klimaschutz und andere mehr. Natürlich sollen solche Reformen langfristig Ersparnisse bringen, aber unmittelbar kosten sie Geld. Eine große Steuerreform hätte sich durchaus auch um die Anlaufkosten solcher Reformen kümmern können, aber es blieb bei der Tarifkorrektur.
Positiv hervorzuheben ist, dass die Tarifkorrektur am Nullpunkt nicht Halt machte und auch für Einkommen unterhalb der Steuerpflicht etwas bringen wird. Allerdings in Summe nur 8% aus dem zu verteilenden Topf, was sehr viel weniger ist, als der Anteil der Betroffenen an der Gesamtheit der Erwerbstätigen.

Wie steht es um die eigentlichen Reformziele?

Da war zunächst die Forderung nach gleichmäßigerer Einkommensverteilung. Das ist beileibe nicht nur eine Frage von Gerechtigkeit, es geht um das reibungslose Funktionieren der Wirtschaft! Die Einkommensverteilung ist europaweit in eine Schieflage gekommen, Österreich macht da keine Ausnahme. Die rascher steigenden, großen Einkommen, die dazu noch Kapitalerträge lukrieren, ergeben ein Sparaufkommen, dem mangels wachsender Masseneinkommen und entsprechender Konsumneigung keine geeigneten realwirtschaftlichen Investitionsgelegenheiten gegenüberstehen. Verstärkt wird dies dadurch, dass die Staaten sich nicht weiter verschulden dürfen. Österreich hat das wirtschaftspolitische Ziel einer ausgewogenen Einkommensverteilung in den Jahren zwischen 1955 und 1975 perfekt erreicht und nicht zuletzt damit diese Jahre vergoldet. Dass dieses Ziel in Vergessenheit geriet, ist der Grund hinter den oberflächlichen Gründen der gegenwärtigen, lange anhaltenden Rezession.
Eine substanziell auf Vermögen zugreifende Steuerreform hätte das korrigieren können, das ist an der Durchsetzungsfähigkeit der Verteidiger solcher Vermögen gescheitert. Sie werden vermutlich in absehbarer Zeit merken, dass das ein Fehler war. Mit deutlich höheren Gewinnen in einer durch eine flachere Einkommensverteilung zurückgewonnenen Konjunktur würden sie eine Vermögenssteuer vermutlich verschmerzen können, aber für den Moment ist es abzuhaken.
Im Zusammenhang mit dem Thema Erbschaftssteuer ist auch an die Altenpflege zu denken. Eine nennenswerte Erbschaftssteuer mit einem Freibetrag in Höhe der im Haushalt aufgewendeten Altenpflegekosten könnte auf ganz einfache Weise eine Risikogemeinschaft bilden. Eine zukunftsorientierte Steuerreformdiskussion hätte vielleicht sogar die Frage anschneiden können, ob nicht auch eine Umverteilung von Arbeit mit steuerlichen Anreizen zu unterstützen wäre. Bleibt die Hoffnung auf eine kurzfristige Belebung der Wirtschaft, immerhin wird man 5 Milliarden zusätzliche Kaufkraft schaffen. Was davon übrigbleibt, hängt von der Gegenfinanzierung ab, die genauer anzusehen ist.
1,9 Milliarden soll die Steuerbetrugsbekämpfung bringen, vor allem die Registerkassenpflicht und die Eindämmung der Hinterziehung von Mehrwertsteuer. Dazu kommen 250 Millionen durch die Anhebung begünstigter Steuersätze.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Müller, der bisher bei Verkauf ohne Rechnung einen entsprechenden Rabatt gewährt hat, diesen Rabatt auch zur ausgestellten Rechnung gewährt. Also werden wir einen Preisschub in dieser Höhe hinnehmen müssen. Der Verbraucherpreisindex wird das natürlich nicht erfassen, aber die erfassten Umsätze werden steigen, was in einem Anstieg der Produktivität zum Ausdruck kommen wird. Was wieder bedeutet, scheinbares, nur einer besseren Erfassung zuzuschreibendes Wachstum, aber keine zusätzlichen Arbeitsplätze! (Die Arbeit wurde ja auch für die an der Steuer vorbei produzierten Waren geleistet). Anders: Der Staat kassiert Steuern von Umsätzen, die es bisher schon gegeben hat und deren Preise um diesen Steuerbetrag steigen werden.
1,1 Milliarden sollen Einsparungen erbringen. Das bedeutet natürlich, dass der Staat dieses Geld nicht (mehr) ausgibt. Damit sind in Summe bis zu drei der fünf Milliarden zusätzlicher realer Nachfrage futsch, aber auch 60% der Selbstfinanzierung, rund 500 Millionen. Zieht man noch ein steigendes Sparaufkommen der höheren Einkommen in Betracht, dann bleibt keine Milliarde Konjunkturimpuls. Aber die Freude der Leute, denen man einen satten Tausender versprochen hat, bleibt ungetrübt. Vorerst.

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