Senken Steuernachlässe die Arbeitslosenzahlen?

H.Peter Degischer (Zukunft mitverantworten) 23.03.2015

Die Steuerentlastung für die Erwerbseinkommen nimmt seit Ende des 20. Jahrhunderts gegenüber den steigenden Kapitaleinkommen ab. Trotzdem bestreiten die Arbeitnehmer zwei Drittel des österreichischen Steueraufkommens über Lohn- und Umsatzsteuern. Die aktuelle Steuertarifreform – wie sie auch vom ÖGB vorgeschlagen wurde – ändert daran kaum etwas. Die Senkung des Einstiegsteuersatzes gilt als soziale Leistung. Die neuen Tarifstufen, die inflationsbedingt angepasst werden sollen, brächten mehr Steuergerechtigkeit. Die Regierungsparteien verkünden, dass die Absenkungen der Steuersätze für Arbeitnehmer eine durchschnittliche Steuerersparnis von 1000,- € pro Jahr ergeben. Der Durchschnitt trifft auf monatliche Bruttoeinkommen von etwa 2600,- € zu. Die weniger verdienen erhalten weniger und ausgerechnet die höheren Einkommen lukrieren die höchsten Steuernachlässe (laut Rechner des Finanzministeriums) ab dem monatlichen Bruttogehalt von 9000,- € jährlich 2140,- €, bei monatlich 45.000,- € bis 85.000,- € jährlich 2.170,- €). Die Erhöhung der 50%-Lohnsteuerstufe von 60.000 € auf 90.000 € zu versteuerndes Jahreseinkommen bringt dieser Verdienstgruppe mehr als der untersten Steuerklasse insgesamt. In diesen Einkommensbereich wird voraussichtlich die Höchstbemessungsgrundlage der Sozialversicherung angehoben, was die Steuerersparnis etwas bremst. Erst in 5 Jahren wird die Abschreibemöglichkeit von Privatversicherungen gestrichen. Nur eine kleine Personengruppe, die monatlich mehr als 87.000,- € bekommt, wird mit dem neuen „Solidaritäts“-Steuersatz von 55% eine Steuererhöhung erfahren. In den überdurchschnittlichen Einkommensgruppen sind Frauen bekanntermaßen wenig vertreten, sodass diese nur halb so viel vom Steuerkuchen erhalten wie die Männer.Das „mehr netto für brutto“ wird die Nachfrage beleben. Der höhere Steuerfreibetrag für Kinder wird die Familien finanziell etwas entlasten. Die Erhöhung der Negativsteuer auf 400,- € jährlich (!) für die niedrigsten Einkommen (bis monatlich brutto 1050,- €) erleichtert das „working poor“ geringfügig. Der Vorschlag der Grünen, einfach den Sozialversicherungsbeitrag der Arbeitnehmer bis 1530,- € Monatseinkommen „einschleifend“ zu ersetzen, wäre für diese Gruppe wirksamer gewesen. Wie viel wird die erwartete Konsumsteigerung über die Mehrwertsteuer wieder ins Staatsbudget zurückbringen? Die Mehrwertsteuererhöhungen für manche Produkte und Dienstleistungen werden wenig beitragen. Die Bezieher der hohen Einkommen werden ihre Entlastungsgewinne kaum verkonsumieren, sondern großteils im Finanzmarkt investieren. Die Selbstfinanzierung der Tarifreform über die Mehrwertsteuer wird daher 2016 nicht an die erwartete Milliarde herankommen. Die rigorosere Bekämpfung der Steuerhinterziehung ist keine Reform, aber die Annahme über die Höhe des bisher hinterzogenen Betrages ist beeindruckend. Wann werden die „steuerschonenden“ Praktiken internationaler Konzerne unmöglich gemacht?

Die Gegenfinanzierung verfolgt kaum Umverteilungsziele, denn die Anpassung der Grunderwerbssteuer an den Verkehrswert ist ebenso überfällig wie die Korrektur der inflationsbedingten Lohnsteuerentwicklung. Das vermögensbezogene Steueraufkommen beträgt gerade 1,2 % der gesamten Steuereinnahmen des Staates. Vermögens-, Schenkungs- und Erbschaftsteuern bleiben nun künftigen Regierungen vorbehalten, die die Tarifreform durch eine Strukturreform ersetzen werden müssen. Die ausgabenseitigen Einsparungen der öffentlichen Hand können sehr kontraproduktiv wirken. Z.B. Einsparungen im Bildungssektor werden nicht nur das Entwicklungspotenzial neuer Generationen beeinträchtigen, sondern auch das laufende Familienbudget belasten und womöglich auch künftige Sozial- und Sicherheitsbudgets.

Die oben angeführte Konsumsteigerung wird eine geringe Wirtschaftsbelebung bewirken. Wie viele neue Arbeitsplätze wird die erwartete Konsumsteigerung bringen? Angenommen, es werden dadurch 30.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, die mit 30.000 € /Arbeitsplatz jährlich ca. 900 Mio. € in den Wirtschaftskreislauf (Konsum, Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern) einspeisen. Die Arbeitslosenquote würde um 0,6 %-Punkte gesenkt, was jährliche Einsparungen von fast 600 Mio. € brächte. Laut Sozialminister Rudolf Hundstorfer zahlte 2012 ein Beschäftigter durchschnittlich 18.200 € Steuern pro Jahr, aber jeder Arbeitslose kostete durchschnittlich 19.000 € (Die Presse, 2.7.2013). Budgetfinanzierung durch neue Arbeitsplätze wäre DIE Chance. Dazu bräuchte es viel mehr als die angekündigten 200 Mio. € Wirtschaftsförderung, die etwa 7000 Arbeitsplätze schaffen könnte (0,015 %-Punkte weniger Arbeitslose). Würde ein Betrag von 5 Md. € investiert, könnten etwa 200.000 Arbeitsplätze geschaffen werden (45 % weniger Arbeitslose !). Die derzeitige Arbeitslosigkeit kostet fast 10 Md. € /Jahr. Die verminderten Beiträge an die Sozialversicherungen erhöhen die staatlichen Zuschusserfordernisse an Pensions- und Krankenversicherungen. Eine Steigerung der verfügbaren Arbeitsplätze müsste das vordringlichste humane und budgetäre Ziel sein. Dies ist auch eine Voraussetzung für die Erhöhung des effektiven Pensionsalters.

Signifikante Investitionsimpulse des Staates für die Bereiche Bildung, Wohnraum, soziale Dienste, Klimaschutz und ökologische Infrastruktur würden wesentlich wirksamer sein für eine gerechte und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung als die Steuergeschenke an die hohen Einkommen. Die Klimaveränderungen erfordern einen sozial-ökologischen Umbau unseres Wirtschafts- und Steuersystems, aber die Regierung verzichtet dezidiert auf jegliche ökologische Komponente in der Steuerreform. Es gibt einerseits großen Investitionsbedarf und andererseits unsägliche Kapitalkonzentration. M.Koza (AUGE) sagt: „Mehr solche Siege können wir uns nicht mehr leisten!“ Nach der Tarifreform ist vor der Steuerstrukturreform.

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1 Kommentar

  1. Eine Studie des Instituts für Höhere Studien bestätigt die Benachteiligung niedriger Einkommen und sogar der Familien durch die kommende Steuertarifreform:
    http://www.apa.at/News/6423331562/steuerreform-hebt-laut-ihs-studie-einkommen-deutlich-an.html
    “ ..vor allem Haushalte im oberen Drittel (7. bis 9. Dezil) werden von der Steuerreform besonders profitieren.“
    „Die Entlastung für Haushalte mit Kindern wird – trotz der Verdoppelung des Kinderfreibetrages sowie der Erhöhung der Familienbeihilfe – geringer ausfallen als jene für Haushalte ohne Familien.“
    Trotzdem heißt es:
    „Die Koalitionsparteien fühlen sich durch die IHS-Studie zur Steuerreform bestätigt. Durch die Entlastung bleibe mehr Netto vom Brutto, womit die Kaufkraft gestärkt werde, erklärte SP-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos in einer Aussendung. VP-Generalsekretär Gernot Blümel freute sich über eine Entlastung der „Leistungsträger“.“
    Offenbar setzen sich unsere koalitionären Politikdarsteller besonders für die Oberschicht ein, die die gesteigerte Kaufkraft wie einsetzen wird?

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